Die Zeitbombe in Serbien tickt

Nach dem Mord an dem serbischen Regierungschef steuert das Land auf eine tiefe politische Krise zu. Ein Nachfolger für Zoran Djindjić ist derzeit noch nicht in Sicht. Zudem legt der Mord wieder einmal grundsätzliche Schwachstellen des Systems offen

aus Belgrad ANDREJ IVANJI

Zoran Djindić sei die „Hälfte“ der Demokratischen Partei (DS) und der „treibende Motor“ der Reformen in Serbien gewesen, sagte sein Freund und Stellvertreter in der Partei, Zoran Zivković, bestürzt. Schon bald könnten sich seine Worte als bittere Wahrheit erweisen: Serbien steuert auf eine tiefe politische Krise zu. Die enthauptete Regierung hat nur eine knappe Mehrheit im Parlament, die Regierungschef Djindjić dank seiner Autorität und je nach Bedarf die Koalitionspartner wechselnd immer wieder behaupten konnte.

Wer immer Djindjić’ Nachfolger sein wird – er hat nur geringe Chancen, die Mehrheit für die Reformregierung zu sichern. Eine Integrationsfigur in der aus siebzehn Parteien bestehenden Koalition DOS zeichnet sich nicht ab. Vorgezogene Parlamentswahlen werden immer realistischer. Laut Umfragen würden die um die „Demokratische Partei Serbiens“ (DSS) und Vojislav Koštunica versammelten rechts-konservativen, nationalistischen Kräfte glatt gewinnen.

Analytiker meinen, dass die DSS weder in der Lage wäre, mit dem organisierten Verbrechen abzurechnen, noch den Willen hätte, die vom UN-Tribunal in Den Haag wegen Kriegsverbrechen angeklagten serbisch-montenegrinischen Staatsbürger festzunehmen und auszuliefern.

Nach dem tödlichen Anschlag auf Djindjić kommen alle Schwächen Serbiens zum Vorschein: Das Land hat weder eine Verfassung noch einen Präsidenten. Der Status des Kosovo und der Vojvodina sind nicht geregelt. Im Süden Serbiens sind albanische Extremisten wieder aktiv. Die Reformen in Polizei und Justiz stagnieren, die zivile Kontrolle der Streitkräfte ist fragwürdig. Hinzu kommt eine enorm hohe Arbeitslosigkeit, die soziale Unruhen auslösen könnte.

Ein Land in dem der Ausnahmezustand verhängt worden, in dem der Garant der prowestlichen Reformpolitik umgebracht worden ist, wird für lange Zeit ausländische Investoren abschrecken. Die unter dem Druck der Europäischen Union knapp vor einem Monat gegründete brüchige Staatengemeinschaft „Serbien und Montenegro“ steht ebenfalls auf dem Spiel. Die Institutionen des gemeinsamen Staates sind immer noch nicht aufgebaut worden.

Montenegro wird sich hüten sich von dem krisengeschüttelten Serbien in den Abgrund ziehen zu lasen. Die montenegrische Staatsführung strebt ohnehin die Unabhängigkeit an.

In Serbien tickt eine Zeitbombe, die jedes dieser Probleme zur Explosion bringen könnte. Man spricht davon, das organisierte Verbrechen habe dem Staat „den Krieg erklärt“. So ist die Priorität der Regierung , die Mörder und Auftraggeber von Djindjić ausfindig zu machen und festzunehmen. Nur so kann sie das Vertrauen der Bürger in den Staat zurückgewinnen. Bisher hat die Polizei zwar über fünfzig verdächtige Personen festgenommen, doch die mutmaßlichen Täter, angeführt von Milorad Luković, genannt „Legija“, sind verschwunden. Und was die Auftraggeber angeht, tappt das Innenministerium im Dunkeln.

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