Zentralrat geißelt Wulff-Äußerung

Am 70. Jahrestag der Reichspogromnacht verurteilt die Präsidentin des Zentralrats der Juden Christian Wulffs Äußerung über „Pogromstimmungen“ gegen Manager. Die Kanzlerin bekräftigt Deutschlands besondere Verpflichtung gegenüber Israel

AACHEN: Mehrere tausend Menschen haben am Samstag in Aachen gegen einen Neonazi-Aufmarsch protestiert. „Aachen ist nicht rechts“, hieß es bei einer von Kirchen, Parteien und Initiativen veranstalteten Gegenkundgebung. Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte die Demo der Rechtsextremen zunächst verboten. Es sah in der zeitlichen Nähe zum Jahrestag der Reichspogromnacht eine „die Würde der Opfer verletzende Billigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft“. Das Bundesverfassungsgericht hatte der Entscheidung am Freitag widersprochen und die Demo genehmigt. FULDA: Gegen einen Aufmarsch der NPD demonstrierten ebenfalls am Samstag rund 600 Menschen in der Fuldaer Innenstadt. Etwa 150 Neonazis aus ganz Deutschland waren in die hessische Stadt gereist. Die von DGB und einem Aktionsbündnis gegen rechts organisierten Protestkundgebungen begannen bereits am Vormittag und liefen den ganzen Tag über. Durch die konsequente Trennung der Gruppen habe die Polizei Gewaltausschreitungen verhindern können, sagte ein Polizeisprecher. Die Stadtverwaltung Fulda hatte vergeblich ein Verbot des NPD-Aufmarschs beantragt. AP, DPA

BERLIN dpa/epd/taz ■ Zum 70. Jahrestag der Pogromnacht vom 9. November 1938 hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vor Gleichgültigkeit gegenüber Rassismus und Antisemitismus gewarnt. „Gleichgültigkeit ist der erste Schritt, unverzichtbare Werte aufs Spiel zu setzen“, sagte Merkel am Sonntag auf der zentralen Gedenkveranstaltung in Deutschlands größter Synagoge in Berlin. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus dürften in Europa „nie wieder eine Chance haben“. Dies gelte auch für den arabischen Raum und andere Teile der Welt, sagte Merkel. Sie betonte die besondere Verpflichtung Deutschlands gegenüber Israel. „Die Sicherheit Israels zu schützen ist Teil der Staatsräson Deutschlands“, sagte Merkel.

In der Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938 hatten Nazis in ganz Deutschland Geschäfte und Synagogen in Brand gesetzt, Wohnungen demoliert und Bewohner misshandelt. Nach Schätzungen von Historikern kamen bei den Pogromen mehrere hundert Juden ums Leben. Die offiziellen Angaben lagen bei 91 Toten. Zudem wurden etwa 26.000 jüdische Männer in Konzentrationslager verschleppt. Es wurden 267 zerstörte Gottes- und Gemeindehäuser sowie 7.500 verwüstete Geschäfte verzeichnet.

Die Präsidentin des Zentralrates der Juden in Deutschland, Charlotte Knobloch, griff den niedersächsischen Ministerpräsident Christian Wulff (CDU) in ihrer Rede während der Gedenkveranstaltung an. Er hatte in einer Fernsehsendung die massive Kritik an hohen Managergehältern mit einer „Pogromstimmung“ verglichen. „Dieses mangelnde Geschichtsbewusstsein ist nicht hinzunehmen“, sagte die Zentralratspräsidentin.

Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) sagte: „Das NS-Regime kam nicht an die Macht, weil die Nazis so stark waren, sondern weil die Demokraten in zentralen Fragen zerstritten waren.“ Alle müssten sich verantwortlich fühlen, dass sich so etwas niemals wiederhole. Die Grünen verlangten von der Bundesregierung mehr Mittel für Programme gegen Antisemitismus und Rechtsextremismus. In einer Erklärung bekannte sich die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland zur ihrer Mitverantwortung an der judenfeindlichen Politik im Nationalsozialismus. Christen hätten mit ihrem Verhalten zur Vernichtungspolitik in der NS-Zeit „schwere Schuld“ auf sich geladen, so die Kirchenleitung. Auch Papst Benedikt XVI. rief zur Ächtung von Antisemitismus auf, verteidigte aber seinen Vorgänger Pius XII., der kritisiert wird, weil er sich in der NS-Zeit nicht genug für die Juden eingesetzt haben soll. Im Stelenfeld des Berliner Holocaust-Mahnmals und im „Raum der Namen“ waren am Sonntag die Lebensgeschichten von 100 Pogromopfern zu hören. FT