Deutschlands neue Hoffnung: Kranke, Alte, Arbeitslose

Bundeskanzler Schröder nennt Sozialsysteme untragbare Belastung. Sein Ausweg: Das Arbeitslosengeld wird gekürzt, die Arbeitslosenhilfe mit der Sozialhilfe zusammengelegt, das Krankengeld gestrichen. Oppositionschefin: Kein großer Wurf

BERLIN taz ■ In seiner mit Spannung erwarteten Regierungserklärung hat Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) gestern die Abschaffung der Arbeitslosenhilfe verkündet. Für die rund 1,7 Millionen Menschen, die heute Arbeitslosenhilfe bekommen, sollen die Leistungen „in der Regel“ auf das Niveau der Sozialhilfe gesenkt werden. Außerdem will die Bundesregierung den Bezug von Arbeitslosengeld auf ein Jahr begrenzen. Über 55-jährige Erwerbslose sollen das Arbeitslosengeld maximal 18 Monate bekommen.

„Heute ist die Erneuerung des Sozialstaats unabweisbar geworden“, erklärte Schröder. Ohne diese Modernisierung würden die „ungebremsten Kräfte des Marktes das Soziale beiseite drängen“. Der Kanzler stellte fest, dass die Beiträge der Beschäftigten und Unternehmen zur Finanzierung der Sozialsysteme eine „kaum mehr tragbare Belastung geworden“ seien. Um diese zu reduzieren, will Rot-Grün außerdem das Krankengeld aus der gesetzlichen Krankenversicherung herausnehmen. Bisher zahlen die Krankenkassen einen monatlichen Unterhalt, wenn ein Beschäftigter länger als sechs Wochen krankgeschrieben ist. In Zukunft soll man dafür eine private Zusatzversicherung abschließen, für die die Beschäftigten allein, nicht mehr die Unternehmen aufkommen müssen.

Zur Stimulierung der Nachfrage will die Regierung ein Kreditprogramm in Höhe von 15 Milliarden Euro auflegen. Die Modernisierung von Wohnungen und kommunaler Infrastruktur soll der Bauwirtschaft helfen.

Parallel zu Schröders Auftritt im Bundesrat gab es gestern ein gutes Zeichen für Unternehmen und die wohlhabenden Teile der Bevölkerung. Der Bundesrat lehnte mit der Mehrheit der unionsregierten Länder das rot-grüne Gesetz zum Abbau von Steuersubventionen komplett ab. Die geplante Mindestbesteuerung für Konzerne ist damit einstweilen ebenso gestorben wie die höhere Steuer für privat genutzte Dienstwagen.

Unmittelbar nach Schröders Rede hagelte es Kritik von der Opposition. Unionschefin Angela Merkel warf Schröder vor: „Sie bleiben unverbindlich, wo Sie konkret werden müssten.“ Die Regierungserklärung sei „kein großer Wurf“. Trotzdem bot Merkel der Regierung ihre Zusammenarbeit an. Der Arbeitnehmerflügel der SPD kündigte seinen „entschiedenen Widerspruch“ an. Die Parteilinke Andrea Nahles bezeichnete die Regierungserklärung als sozial „unausgewogen“. Zufrieden waren dagegen die Grünen. Parteichef Reinhard Bütikofer hielt Schröders Vorstellung für eine „große Rede“. HANNES KOCH

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