OHNE DJINDJIĆ SIND WEITERE REFORMEN NUR SCHWER UMSETZBAR
: Jetzt braucht Serbien Hilfe

Hunderttausende Menschen haben am Samstag nicht nur ihre Trauer über den Mord an Serbiens Premierminister Zoran Djindjić gezeigt. Diejenigen, die in den 90er-Jahren mit dem damaligen Oppositionspolitiker gegen das Milošević-Regime demonstrierten, Djindjić’ Wähler und vermutlich noch viele andere Menschen in Serbien wollen ganz offensichtlich auch, dass die Politik, für die der Premier stand, fortgesetzt wird. Doch ob dieser Wunsch in Erfüllung geht, ist mehr als fraglich.

Natürlich könnten Trauer und Besinnung nach dem feigen Mord zu einem neuen politischen Schub für die Reformkräfte führen. Doch angesichts der Widerstände im serbischen Staatsapparat und angesichts der Tatsache, dass die Reformbewegung eben doch nur eine urbane Bewegung ist, also gesamtgesellschaftlich gesehen eine Minderheit darstellt, ist Vorsicht angebracht. Zumal es an Führungspersönlichkeiten fehlt, die wie Djindjić in der Lage wären, auch auf dem Klavier der Macht zu spielen und seine politischen Gegner auseinander zu dividieren.

Es wäre zu wünschen, dass der als Djindjić’ Nachfolger gehandelte Zoran Živković aus dem südserbischen Niš dieses Format hätte; dass er wenigstens die Reihen des Regierungsbündnisses DOS zusammenhalten kann. Ginge der neue Premier aber gegen die politische und kriminelle Mafia der Milošević-Zeit und ihre Sympathisanten im Polizei- und Staatsapparat wirklich effektiv vor, befände er sich in einer Zwickmühle: Er würde sein Leben gefährden – genauso wie Djindjić, der die Tatsache, dass er (mit Rücksicht auf seinen damaligen Verbündeten, den jugoslawischen Expräsident Vojislav Koštunica) nicht gleich nach dem Sturz Milošević’ konsequent gehandelt hat, letztendlich mit seinem Leben bezahlen musste. Tut Djindjić’ Nachfolger dies aber nicht, ist die Reformbewegung verloren.

Serbien steckt tief in einer Verfassungskrise: Nach wie vor gibt es keinen Präsidenten, da Djindjić seinen konservativen Gegenspieler Koštunica bei der Präsidentenwahl ausgetrickst und so die Wahl verhindert hatte. Der serbische Staat ist also nur begrenzt aktionsfähig. Gäbe es jetzt Neuwahlen, so könnten durchaus die konservativen und nationalistischen Kräfte gewinnen und jegliche weitere Reform verhindern. So kommt es jetzt für Djindjić’ Nachfolger darauf an, dessen Sympathievorschuss aus dem Ausland mitzunehmen. Und die Institutionen der internationalen Gemeinschaft wären gut beraten, schnell zu handeln. Der Reformflügel in Serbien braucht jetzt ihre effektive Unterstützung, die bis hin zur konkreten Zusammenarbeit mit den loyalen Polizeikräften in Serbien reichen muss. ERICH RATHFELDER