Bayers Pestizid-Lobby

Auf Initiative des Chemiekonzerns plädiert Wirtschaftsminister Clement (SPD) für den weiteren Verkauf des Extremgifts „Aldicarp“. Grünen-Ministerin Künast für Verbot

BERLIN taz ■ Dr. Jochen Wulff, Vorstandsvorsitzender der Bayer CropScience AG, hat ein wichtiges Anliegen: Er möchte gern eine hochgiftige Substanz namens Aldicarb verkaufen – nicht unter dem Ladentisch, sondern öffentlich und möglichst weltweit. Und er hat ein Problem: Die EU droht seinem Geschäft einen Riegel vorzuschieben. Heute debattiert der Ministerrat über die Pflanzenschutzrichtlinie 91/414, die über das europaweite Schicksal von zunächst 90 Pestiziden entscheidet. Für den Bayer-Wirkstoff Aldicarb sieht es dabei nicht gut aus. Der Agrarministerrat, das wichtigste Gremium in diesem Harmonisierungsprozess, kann sich nicht zu einer Zulassung durchringen.

Unter anderem Deutschland, vertreten durch Renate Künast, die grüne Ministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft (BMVEL), will Aldicarb vom gemeinsamen Markt verbannt sehen. Eigentlich keine Überraschung, denn hierzulande ist Aldicarb schon seit zehn Jahren verboten. Von Künasts Ministerium abgewiesen, griff Wulff Anfang Februar zur Feder und schrieb einem, der ihn besser versteht: Georg-Wilhelm Adamowitsch, ehemals Chef der Staatskanzlei NRW und seit vergangenem November Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium. Adamowitsch gilt als einer der wenigen Vertrauten von Wirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) und als sein engster strategischer Berater.

In seinem Brief erläutert Wulff, dass Aldicarb für Bayer „zu den weltweit wichtigsten Wirkstoffen mit einem Umsatz von etwa 150 Millionen Euro“ jährlich gehöre und damit an die „20 Millionen Euro Kosten der hauptsächlich in Deutschland ansässigen Forschungs- und Entwicklungseinheiten“ trage. Die Arbeitslosenmisere angedeutet, kommt Wulff zum entscheidenden Punkt: Im gespaltenen Ministerrat sei eine qualifizierte Mehrheit für Aldicarb in Reichweite, wenn Deutschland „eine neutrale Haltung einnimmt“.

Adamowitschs Ministerialdirektor Andreas Schuseil erkannte die Brücke und schlug in einem Schreiben an das Verbraucherministerium vor, „dass sich die Bundesrepublik in der Frage Aldicarb der Stimme enthält“.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) führt das Organophosphat Aldicarb unter der höchsten Gefahrenklasse (1a). In der Tierwelt richtet das Nervengift, das grundlegenden Mechanismen der Reizfortleitung beeinflusst, verheerende Schäden an – besonders für Vögel bedeuten schon geringste Mengen den Tod. Es ist gut löslich und wird somit leicht ins Grundwasser gespült, wo es eine Halbwertzeit von einigen Monaten besitzt. Im Tierversuch genügt bereits eine Konzentration von weniger als 1 mg je Kilogramm Körpergewicht, um eine Ratte binnen Minuten zu töten. Die schlimmstmöglichen Auswirkungen der Chemikalie Organophosphat auf den Menschen zeigte 1983 der Chemieunfall in Bhopal: Ein Leck in den Leitungen der Union-Carbide kostete 3.000 Mitarbeiter und Anwohner das Leben.

Im Brief des Bayer-Managers Wulff steht davon nichts, ebensowenig im Fax des Ministerialbeamten Schuseil an Künast. Dieses endet mit folgendem Hinweis: „Da der Wirkstoff seit 1992 in Deutschland nicht mehr zugelassen ist, sind direkte Auswirkungen auf den deutschen Verbraucher auch eher unwahrscheinlich.“

Im BMVEL reagierte man empört auf das Ansinnen aus dem Wirtschaftministerium. Am 13. März beschloss das Haus auf Weisung von Ministerin Renate Künast, in der heutigen Sitzung des Ministerrats bei seiner ablehnenden Haltung zu bleiben. Auch auf den inzwischen von der EU-Kommission vorgelegten Kompromissvorschlag, Aldicarb eine Übergangsfrist bis Juni 2007 zu gewähren, will Künast nicht eingehen.

ANDREAS SCHLUMBERGER