Die Lebensader Afrikas pulsiert für Kairo

Zehn Anrainerstaaten hat der Nil. Von seinem Wasser profitiert hauptsächlich einer: Ägypten. Das führt zu Streit

NAIROBI taz ■ Mit seinen rund 6.500 Kilometern Länge ist der Nil der wichtigste Lebensnerv für Nordostafrika. Die alten Ägypter glaubten, der Nil entspringe aus dem Nun, dem Urgewässer aus dem die Welt entstand und das die ganze Erde umschließt. In einem ewigen Kreislauf fließt der Nil ins Urgewässer und kommt wieder daraus hervor. Ein derart allumfassendes Flusskonzept scheint im heutigen Ägypten nicht vorgesehen – zumindest nicht, wenn es um die Nutzungsrechte der anderen Anrainerstaaten geht. Der längste Fluss der Erde, von dem 300 Millionen Menschen in zehn Ländern abhängen, ist seit Jahrzehnten größter Zankapfel zwischen den nordostafrikanischen Nachbarn.

1959 schlossen Ägypten und Sudan einen Vertrag über die Nutzung des Flusswassers. Ägypten bekam 55,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr und Sudan 18,5 Milliarden. Die anderen acht Anrainer wurden glatt vergessen. „Ohne die Zustimmung der ägyptischen Regierung darf keine Bewässerung oder hydroelektrische Arbeit ausgeübt werden, weder in den Seitenarmen noch in den vom Nil angestauten Seen“ – so wurde es vor über 40 Jahren festgeschrieben. Jeden Schrei nach Wasser aus den anderen Ländern empfindet das hochgradig vom Nil abhängige Ägypten, das für seine schnell wachsende Bevölkerung bis zum Jahre 2017 insgesamt 420.000 Hektar Wüste nutzbar machen will, als Bedrohung.

Die ausgeschlossenen Länder Äthiopien, Eritrea, Kenia, Uganda, Kongo, Ruanda, Burundi und Tansania fordern seit Jahrzehnten einen neuen Vertrag, der auch ihre Interessen berücksichtigt. Äthiopien trifft die unverminderte Ausbeutung des Nilwassers durch Ägypten am härtesten. Schließlich kommen 80 bis 85 Prozent des durch Ägypten fließenden Nilwassers aus Äthiopien.

Der Fluss bringt nicht nur Wassersegen, sondern auch fruchtbare Erde. Durch die Entwaldung im äthiopischen Hochland spült Regen die Erde in den Nil. Der Fluss führt diese mit sich, bis sie sich am Ufer absetzt. Dadurch entsteht der fruchtbare Streifen durch die Wüste von Ägypten – während im von Dürren geplagten Äthiopien inzwischen 4 Millionen Menschen vom Hunger bedroht sind. Äthiopien hat mit 60 Millionen Einwohnern ebenso viele Mäuler zu stopfen wie der ägyptische Nachbar. Zwölf Bewässerungsprojekte mit mehr als 6 Milliarden Kubikmeter Wassermenge, sind deshalb in Planung und sorgten schon mehrfach für Kriegsdrohungen aus Ägypten.

1980 wäre es beinahe zum Wasserkrieg zwischen den Ländern gekommen. Ägyptens damaliger Präsident Anwar as-Sadat wollte den Nil umleiten, um die Wüste Sinai zu bewässern. Acht Jahre später prophezeite der frühere ägyptische Außenminister und spätere UNO-Generalsekretär Boutros Boutros Ghali: „Der nächste Krieg in unserer Region wird wegen des Nilwassers geführt werden.“

Ein Krieg, der schon seit langem in der Region geführt wird, hat auch mit Wasser zu tun: Im sudanesischen Bürgerkrieg – dem ältesten in Afrika – ging es jahrzehntelang nicht nur um das Öl der Südhälfte des Landes, sondern auch um Wasser – Nilwasser. Ägypten wusste seinen Einfluss einzusetzen, um eine Spaltung des Landes zu verhindern – und die Gefahr eines südsudanesischen Staates, der ihm das „Wasser abgraben“ würde.

Auch Kenia musste unter ägyptischem Druck Pläne zur Wasserentnahme aus dem Viktoriasee einstellen. Der kenianische Journalist John Mbaria bringt die Herausforderungen für die Zukunft auf den Punkt: „In Sudan und Ägypten leben zusammen 98 Millionen Menschen, in den anderen acht Ländern 202 Millionen. Das Nilwasser muss endlich ehrlich verteilt werden.“

Die vor vier Jahren gegründete Nilbecken-Initiative hat sich dieser Aufgabe verschrieben. Doch ein transnationales Konzept für eine gerechtere Verteilung steht in den Sternen. Im Oktober hatten die außerägyptischen Anrainer auf einer Nil-Konferenz in Nairobi erneut eine Änderung des 1959er Vertrages gefordert – und bei der ägyptischen Delegation erneut Entrüstung ausgelöst. ILONA EVELEENS