Schwarzer Regen über dem Golf

von NICK REIMER

Die Schlagzeilen ließen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Temperatursturz und schwarzer Regen“, „Licht für Jahre gelöscht“, „Apokalyptische Kriegsfolgen im Irak“. Tatsächlich konnte man das, was die Schlachtfelder nach dem Ende der Operation „Wüstensturm“ zur Besichtigung freigaben, als „ökologisches Fiasko am Golf“ beschreiben. Was droht, wenn dort jetzt ein neuer Krieg ausbricht?

Klar ist, dass das Ausmaß der Umweltzerstörung von drei Faktoren beeinflusst wird. Der Bericht einer UN-Kommission über Umwelteffekte des Golfkrieges im Irak nennt die Kriegsdauer als ersten Faktor: Je länger der Krieg andauert, umso größer der prognostizierte Grad der Zerstörung. Faktor zwei ist die tatsächliche Kriegsführung der Alliierten: Wird es wiederum zum Einsatz von urangehärteter Munition kommen – wie in Kuwait oder im Kosovokrieg? Wasserwerke, Kraftwerke, Chemiefabriken, Raffinerien – wird es wieder Flächenbombardements von Infrastruktur geben? Drittens – und wohl am schwerwiegendsten – werden die Folgen für die Umwelt vom Irak selbst abhängen.

So wie 1991. Auf seinem Rückzug aus Kuwait betrieb der Irak eine „Politik der verbrannten Erde“. Von den insgesamt 1.350 kuwaitischen Ölquellen wurden bis März 1991 etwa 650 in Brand gesetzt. Nach einer Kalkulation der US-Bundesbehörde National Science Foundations fraßen die Flammen jeden Tag rund 3Millionen Barrel Öl. Das waren knapp 5 Prozent des täglichen Weltverbrauchs und etwas weniger als die Öleinfuhr der USA an einem Tag.

Über Monate hinweg emittierten die Brände Ruße – knapp 2 Millionen Tonnen sollen über der Region niedergegangen sein. Zudem wurde eine bis dato nicht gekannte Luftverschmutzungen gemessen – ein Gemisch aus Partikeln, Schwefeldioxid, Stickoxiden, toxischen Kohlenwasserstoffen, Schwermetallen und Dioxinen, das als „schwarzer Regen“ bezeichnet wurde. Nach kuwaitischen Angaben verendeten daran eine halbe Million Schafe, 100.000 Kamele sowie 600 Pferde qualvoll.

Die Folgen der Brände waren Verdunkelung großer Teile der Region des Persischen Golfs, gräuliche Färbung der Wüsten im Umkreis von 350 Kilometern, Zerstörung von Bäumen und Seegrasfeldern. Die Einschränkung des Sonnenlichts führte monatelang zu einer durchschnittlichen Temperaturabsenkung der Luft um 10 Grad. Auch die Wassertemperatur des Meeres sank um einige Grade.

„Am Tag bist du gelaufen wie um Mitternacht. Du hast nicht einmal das Licht der wenigen Autos gesehen. Du hast überhaupt nichts gesehen wegen des unvorstellbaren dicken schwarzen Rauchs“, erinnert sich der Kuwaiter Faruk al-Bas an die „künstliche Nacht“. Gesundheitsbeamte in Bahrain warnen die Bevölkerung, dass das Atmen mit dem täglichen Rauchen von 20 bis 30 Zigaretten gleichzusetzen sei. Auch könnte verstärkt Hautkrebs auftreten, da die weit über 100.000 Flugeinsätze der Alliierten die Ozonschicht beeinträchtigt haben, so Jaffar al-Bareeq, Präsident der Bahreiner Krebsgesellschaft.

60 Prozent Kuwaits kontaminiert

Neben dem brennenden hat auch das „auslaufende“ Öl deutliche Spuren hinterlassen: 60 Millionen Barrel Rohöl kontaminierten etwa 60 Prozent des kuwaitischen Staatsgebietes. Es entstanden 246 „Ölseen“ mit einem Umfang von 49 Quadratkilometern. „Wir haben einen großen Verlust an Natur erlitten. An manchen Stellen können wir die Bodenschäden nicht wieder gutmachen“, sagt Samira Said Omar, Projektleiterin für Wüstenumwelt im Kuwait Institute for Scientific Research (KISR).

Bis 1998 konnten zwar 95 Prozent dieser Ölseen „aufgearbeitet“ – das Öl sogar teilweise „recycelt“ werden. Der Rest jedoch belastet weiterhin die Wüste und birgt immense Risiken für die knappen Grund- und Brackwasserressourcen der Region. Dazu kommt, dass das Rohöl ins Erdreich eingedrungen ist. Auf etwa 40 Millionen Tonnen wird die Masse kontaminierten Bodens geschätzt.

Neben verbranntem und ins Erdreich geflossenem Öl gelangten etwa 11 Millionen Barrel Rohöl in den Golf. Im Vergleich dazu war die Katastrophe der Exxon Valdez im Jahr 1989 ein Kinderspiel: Bei der Havarie dieses Tankers flossen 230.000 Barrel ins Meer. So war nicht nur die auf Meerwasserentsalzung ausgelegte Wasserversorgung der Anrainerstaaten betroffen, sondern es wurden auch das maritime Ökosystem und die Korallenriffe des Golfs zerstört. 1.500 Kilometer Küste sind kontaminiert.

Vor zwölf Jahren sollen zwischen 15.000 und 30.000 Seevögel an den Folgen des Umweltterrors gestorben sein. Das genaue Ausmaß der Schäden an Korallenriffen, einmaligen Mangroven- und Salzsümpfen und den Seegrasgebieten ist bis heute nicht aufgelistet. Wegen seiner schlauchartigen Form, die einen natürlichen Wasseraustausch nur innerhalb von drei bis fünfeinhalb Jahre zulässt, gilt der Persische Golf ohnehin als eines der sensibelsten Ökosysteme weltweit. Als solches verkraftet er schon die Verschmutzungen durch jährlich 6.000 Öltanker kaum. Trotzdem hat sich nach einem UN-Bericht das marine Ökosystem besser erholt als in den kühnsten Szenarien angenommen. Mittlerweile gibt es wieder so viele Fische wie vor dem Krieg.

Natürlich leidet die Region nicht nur an den irakischen Kriegshandlungen. In der Operation „Desert Storm“ warfen die Alliierten seinerzeit etwa 300.000 Tonnen Bomben ab, deren giftige Schadstoffe über lange Zeiträume in die Umwelt gelangen. Neben Bomben und deren Zersetzungsprodukten wie etwa Asbest und diverse Chemikalien gibt es etwa 4.000 zerstörte Panzer in der Wüste. Etwa 300 Tonnen so genannter DU-Munition (siehe Kasten) wurden eingesetzt, deren giftige Zerfallsprodukte über Wasser und Staub auf Felder und Grundwasser verteilt. In den USA und Großbritannien gelten 25.000 Golfkriegsveteranen durch DU als ernsthaft geschädigt, 160.000 von 573.000 beteiligten Soldaten sollen gesundheitliche Probleme aufweisen. Zahlen aus der Region selbst gibt es dazu nicht.

Das Tigriswasser verseucht

Nach US-Angaben wurden während des Krieges 3 nukleare, 18 chemische und 10 Industrieanlagen mit bakterieller – oder im weitesten Sinne biologischer – Produktion zerstört. Die Folge: Giftige Chemikalien wie Dioxine gelangten in die Umwelt. Die zentrale Wasserversorgung brach nach den Bombardements zusammen. Die Menschen in Bagdad nutzten das Wasser des Tigris, Seuchen wie Cholera und Typhus waren die Folge.

„Allein die Umweltfolgen eines Krieges aufzuzeigen ist zynisch“, warnt unterdessen Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Aus einem internen Papier seines Hauses geht hervor, dass „im Falle eines Krieges mit zwischen 400.000 und 2 Millionen Menschenleben zu rechnen sein muss“. Anders als nämlich beim ersten Golfkrieg – „damals war Irak unter den 50 wirtschaftlich stärksten Nationen der Welt“ – seien heute 80 Prozent der Bevölkerung nach UN-Kriterien als „arm“ einzustufen. Und deshalb von humanitärer Versorgung abhängig. „Heute rangiert die Wirtschaftskraft des Iraks hinter Platz 150“, so Trittin – also etwa auf gleicher Höhe wie Haiti.

Die hohe Zahl an Toten resultiere nicht unmittelbar aus Kriegshandlungen – „sondern aus den humanitären Folgen eines Krieges“. Im Unterschied zu Afghanistan würden im Irak 80 Prozent der Bevölkerung in Städten leben. Entsprechend würden die Menschen unter Bombardements leiden. Und Entsprechen schwer sei es, „sie mit sauberen Wasser und Nahrung zu versorgen“.

Dennoch sieht auch Trittin starke Umweltschäden durch einen Krieg. „Auf die alten Schäden aus dem zweiten Golfrieg kommen dann ja neue drauf.“ Zumal die Umwelt des Iraks auch ohne Krieg schon schwer geschädigt ist: Nach einem Bericht des Umweltprogramms der UN (Unep) muss die großflächige (90-prozentige) Trockenlegung der ökologisch wertvollen Marschen und Sümpfe im Euphrat- und Tigrisdelta (Shatt al-Arab) als Umweltkatastrophe bewertet werden. Diese hat zwei Ursachen: Weil immer mehr landwirtschaftliche Nutzfläche versalzt, soll so neue geschaffen werden. Andererseits will der Irak durch die Trockenlegung Rückzugsmöglichkeiten für schiitische Widerstandskämpfer zerstören.

Täglich werden im Irak 500.000 Tonnen Klärschlamm in Süßwasserressourcen eingeleitet. Zudem wird für landwirtschaftliche Bewässerung viel Wasser entzogen – ein Viertel der Iraker hat im Süden keinen Zugang zur Trinkwasserversorgung. Trittin: „Im Falle eines Krieges wird diese Zahl dramatisch ansteigen.“ Überdies gilt in vielen Regionen Trinkwasser als verseucht, bedingt auch durch den importstoppbedingten Chlormangel zur Desinfizierung. Auch ohne Krieg gilt also: die ökologische Situation am Golf ist katastrophal.