Riesenzinken ohne Chance

Good looks vs. good books: Stefan Moskov hat sich mit seiner Inszenierung „Cyrano!“ einfallsreich von der Vorlage wegbewegt

von HEIKO KAMMERHOFF

Das Ausrufezeichen kam zuletzt: Erst zwei Wochen vor der Premiere von Cyrano! entschied man sich am Thalia Theater, dem Titel des Stücks etwas mehr Wumms zu verleihen. Dies auch noch mal als deutliches Zeichen, dass hier nicht die Werktreue das Maß aller Dinge ist, sondern „nach Rostand“ inszeniert wird – Freiheit, die wir uns nehmen!

Der Bulgare Stefan Moskov, der sich Edmond Rostands Bühnenklassiker Cyrano de Bergerac (1897) – des meistgespielten Stücks in Frankreich – angenommen hat, ist in seiner Heimat staatlich geprüfter Puppentheater-Regisseur. Mag es da noch erstaunen, wie er das Problem mit der Nase gelöst hat? Cyrano betritt die Bühne als Ganzkörpernase, der Komplex, unter dem der tragische Held leidet, nimmt völlig sein Ich ein. Cyrano stellt die Attrappe in die Ecke: „Du wartest hier.“ Aber in seiner selbst empfundenen Hässlichkeit wird sie immer gegenwärtig sein.

Die Geschichte – good looks vs. good books – ist hinlänglich bekannt: der Dichter Cyrano, der auch vorzüglich mit dem Degen umzugehen weiß, liebt seine Cousine Roxane, kann sich ihr aber nicht offenbaren, weil er glaubt, mit seinem Riesenzinken keine Chance zu haben. Roxane findet derweil Gefallen an dem schnittigen Christian, der in Cyranos Regiment kämpft. Um dem vermeintlich unerreichbaren Liebesobjekt zumindest im Geiste nah zu sein, leiht Cyrano dem tumben Christian seine Worte: die Briefe, die er unter dessen Namen schreibt, und die Sätze, die er ihm souffliert, betören Roxane – die Täuschung funktioniert. Doch es geht nicht gut aus.

Nun kann man diesen Stoff von unerfüllter Liebe als astreinen Downer inszenieren. Stefan Moskov hat sich anders entschieden: in seiner Zauberwelt voller überraschender Ideen treffen Poesie, Sprachwitz, Situationskomik und Comedia del arte aufeinander. Der Mut zur verträumten Spielerei findet sich auch im Bühnenbild von Tchavdar Guzelev: Mal öffnet sich der Hintergrund zum Schattenriss eines traurigen Gesichts mit langer Nase, mal gibt es eine Balkonszene unter dunkelblauem Sternenhimmel. Und die Drehbühne wird als Fortbewegungsmittel genutzt, das die Akteure meist langsam, aber zielsicher aneinander vorbeischleust, statt sie zusammenzubringen.

Den radikalsten Schnitt vollzieht Moskov, indem er das Stück mit nur sieben Darstellern auf die Bühne bringt. Das ist kein Verlust, es erfordert lediglich ein höheres Maß an Einfallsreichtum: Auch vier Schauspieler können eine Armee impersonifizieren, rasanter und vergnüglicher als in diesem Cyrano! ist es kaum möglich.

Mit Peter Jordan hat Moskov einen begnadeten Komiker zum Cyrano gemacht. An seiner Seite gibt Judith Rosmair die Roxane spritzig und eindrucksvoll – wie auch die anderen fünf Darsteller in ihren vielen Rollen vollauf überzeugen. Ein kurzweiliger Abend und ein garantierter Erfolg für das Thalia. Eskapismus ist ja bisweilen eine feine Sache, gerade in diesen Zeiten.

weitere Vorstellungen: heute, morgen + Fr, 21. + 28.1., 20 Uhr, Thalia