All right Crew!!!

Scooter, die radikalste Band Deutschlands, spielten in der Columbiahalle. Irrsinn, der begeistert. Musik, die die Hörgewohnheiten verändert. Wahnsinn, dessen Methode interessant, aber unwichtig ist. „Keep it up! Hardcore!“

VON TOBIAS RAPP

So muss man’s machen. „One, two, three … FIRE!!!“, schreit HP Baxxter, und die bis unters Dach voll gepackte Columbiahalle wird von zwei mehrere Meter hohen Stichflammen erhellt, eine Explosion erschüttert die Bühne. Er zieht seine nicht angeschlossene Gitarre in die Höhe, vollzieht mit verzerrtem Gesicht das markerschütternde Riff nach und lässt beim nächsten „FIRE!!!“ noch einmal Funken aus dem Gitarrenhals sprühen.

Gigantisch. In Anbetracht der Tatsache, dass man mit einer Vorliebe für Scooter noch unter den begeisterungsfähigsten Hipstern keinerlei geschmackliche Distinktionsgewinne einfahren kann: glaubt es einfach. Nach einem Scooter-Konzert fängt man an, die Tage zu zählen. Bis zum nächsten Scooter-Konzert. Eine ähnliche konsequent angelegte konzeptionelle Strenge dürfte man sonst nur noch bei Motörhead oder dem Sun Ra Arkestra finden. Mit einem diabolischen Grinsen gibt HP Baxxter den teutonischen Schreihals, der in schlechtem Englisch weitgehend sinnentleerte Reime ins Publikum schleudert, die im Wesentlichen darauf hinauslaufen, dass es jetzt mächtig abgeht. Rick Jordan und Jay Frog stehen etwas erhöht an ihren Pulten und schütteln sich im Rhythmus, als wären sie direkt an den Stromkreis angeschlossen, der die Bassboxen versorgt. Zwei Tänzerinnen schleudern ihre Beine in die Höhe. „All right posse! Keep it up! Hardcore!!! Come on! Keep it up! Move your ass!!! Move your ass!!!“ Ein brutaler Beat peitscht jedes Stück voran, ein krankes Break unterbricht es und sorgt für einen Augenblick der Besinnung, meistens mit Melodien, die bei einem Gassenhauer wie „Was wollen wir trinken“, Supertramp oder Peter Maffay abgeschaut sind, dann geht es weiter. „I explain once again, we won’t let you down / We can’t stop going on, that’s what I pronounce / Faster … Harder … Scooter!!! “

Seit zehn Jahren gibt es Scooter nun schon, mehr als zehn Millionen Platten haben sie verkauft. In Estland sind sie seit rund dreißig Wochen an der Spitze der Charts, wenn sie in der Ukraine spielen, leiht ihnen der Präsident sein Dienstflugzeug, in England hielten sie sich mit „The Logical Song“ wochenlang in den Top Ten der Verkaufscharts und traten eigenmächtig ein UK-Breakbeat-Revival los. Und in Deutschland? Hier schreien sie „Berlin!!! Wahnsinn!!!“, spielen „Hyper, Hyper“ und sowohl die Eltern mit ihren Kindern als auch die 19-jährigen Plateausohlenraver singen die Namen all der DJs mit, die in den Lyrics aufgezählt werden und von denen man sich bereits heute an die meisten nur noch erinnert, weil ihre Namen hier gedroppt werden.

Wollte man das alles auf einer musikologischen Karte eintragen, man könnte einigermaßen gesichert behaupten, dass es sich bei Scooter um verspätete Mods handeln muss. Allerdings keine Angehörigen jener zwanghaften Unterabteilung des deutschen Subkulturvereinswesens, wo über das Hören rarer Northern-Soul-Platten ein Gefühl spaßfreier Exklusivität beschworen wird. Eher Freestyle-Mods: Aufputschmittel plus Englandfaszination plus eine Ästhetik des Schlagdraufundschluss-Rhythmus. Kurz: sie sind Mods, die auf Raves sozialisiert wurden. Sheffield Tunes heißt ihr Label, nach dem Rave-Sound der nordenglischen Arbeitslosenmetropole. Und sich selbst könnten sie natürlich auch nach dem Jahrmarkt-Vergnügen benannt haben, Boxauto zu fahren. Haben sie aber nicht. Scooter nennt ein Mod seine Vespa.

Aber das Schöne an ihnen ist: Sie brauchen die ganzen Erklärungen überhaupt nicht. Sie funktionieren ganz gut ohne. Wie eine wild gewordene Zitatmaschine fräsen sich Scooter durch die Ravesounds der vergangenen zehn Jahre. Trance, Electro, HipHouse, Acid, Jungle, Schaffel, Happy Hardcore, Acid, kein Beat, der sich hier nicht findet. Und gleichzeitig: Niemand hier, der sich für solcherlei Spitzfindigkeiten interessiert. Es rockt doch auch ohne. Und HP Baxxter shoutet seine Reime mit einer grandiosen Intensität, von der deutsche Jungle-MCs noch nicht einmal träumen: „I’m the hard rhymer / The track attacker / The mic enforcer / The chicks checker / I am the law! / Agrh! I’m the quarterback of the scene!“