Wurstzipfel, Zwiebelzöpfe und Fettreserven

Vor 30 Jahren gab es erstmals den „Oberhofer Bauernmarkt“. Die realsozialistische Antwort auf den „Blauen Bock“

Schunkelanimation statt Fröhlichkeit – alles, wovor sich der Gebildete ekelt

Die SED hatte seinerzeit etliche Feindbildchen, von denen sie wünschte, das Volk möge sie mit ihr teilen. Eines davon war die Fratze des volkstümlichen Musikschaffens. Sie hatte sich ausgerechnet in den Thüringer Bergen verschanzt und heckte täglich Nachkommen, zahlreicher und gefährlicher als eine russische Garnison und alle Lyriker und Liedermacher des Prenzlauer Bergs zusammen. Nicht umsonst galten die Thüringer im Volksmund als kleines zänkisches Bergvolk. Identifikation mit eigenem Blut und Boden, das spielte hier die erste Geige, eine ziemlich laute sogar.

Die Protagonisten dieses Genres und die ihnen Ergebenen hielt man in der SED völlig korrekt für niedere Lebensformen, denen man einfach nur die Taschen voll zu hauen brauche. Am 30. Januar 1974 flimmerte dann auch der „Oberhofer Bauernmarkt“ erstmals über die Bildschirme. Doch die frühen Versuche, von Manfred und Gisela Matzke moderiert, waren allenfalls ein halbgares Gemisch. Giftig keimte zwar die Saat der Volkstümlichkeit, aber noch nicht „glaubwürdig“ genug. Die Redaktion musste gefeuert werden, und mit Fred Schmidt und Rosemarie Ambé stellte man neue Jodelmonster vor den Kameras auf.

Die heile Fernsehwelt hatte von allem zu viel. An nichts wurde weniger gespart als an Scheußlichkeiten. Derb-rustikales Interieur, selbst getöpfertes statt funktionierendem Geschirr, Petroleumlampen statt effektiver Beleuchtung, naiv mit Blümchenmustern bemalte Holzvertäfelungen statt Wänden, Volkstümler mit Betonhauben statt Frisuren. An den Decken baumelten Weinkrüge, dazwischen Speckseiten so groß wie Traktorreifen, Wurstzipfel und Zwiebelzöpfe, als gelte es, Fettreserven für die nächsten drei Eiszeiten anzulegen. Schunkelanimation statt Fröhlichkeit – alles, wovor sich der Gebildete ekelt. Die Rechnung ging auf. Voll.

Obwohl beziehungsweise weil ihm von Teilen der Jugend exorzistische Fähigkeiten nachgesagt wurden, feierte ein Dauerüberraschungsgast seine aberwitzigsten Triumphe: Herbert „Rennsteig-Lied“ Roth. Ein Schallplatten- und Quotenmillionär, umkränzelt von kulissenähnlicher Plastiklandschaft – oder von dem, was Ostberliner Redakteure für dörfliche Idylle hielten –, die singende und akkordeonquetschende Quersumme aller auf dem volkstümlichen Fixstern möglichen Däm- und Hässlichkeiten und der Ausfluss einer nach Identität japsenden ostdeutschen Nachkriegsgeneration obendrein. Ohne ihn und das Heer seiner Epigonen wäre kaum eine solche Sendung vorstell- und begründbar gewesen.

Der „Oberhofer Bauernmarkt“ bezeichnete die Schwelle zur sozialistischen Attrappenwohlstandsgesellschaft. Er war die realsozialistische Antwort auf den „Blauen Bock“. Dorthin sollte das störrische Kleinbürgertum verklappt werden, diejenigen also, die nach „Meinung“ der SED-Funktionäre nicht auf Erfolge bei der Planerfüllung stolz sein wollten, sondern auf die eigene Beschränktheit. Irgendwann erledige sich das von selbst.

Eben nicht. Ganz vorn in der Publikumsgunst, knipste man der Sendung erst mit der Auflösung der Adlershofer Kommandoebene, Silvester 1991, die Petroleumlampen aus. Das dem gesamtdeutschen Markt angeglichene Grauen hört seither auf den Namen „Wernesgrüner Musikantenschenke“, aber das ist eine ganz andere, noch schlimmere Geschichte.

MICHAEL RUDOLF