peter ahrens über Provinz
: Zickenkrieg im Königshaus

Die Niederländer mögen Prinzen und Populisten, weil ihre richtigen Politiker so langweilig sind

Der einzige momentan greifbare Fernsehapparat, der mich zur Kindheitserinnerung nötigen könnte, steht in der Redaktion des Algemeen Dagblad in Rotterdam, wo ich zurzeit zu Gast bin. Vor ein paar Tagen versammelten sich sämtliche Redakteure vor dem Bildschirm, um einem kleinen, bebrillten Männlein zuzuhören, das aussah, als bereite es sich gerade intensiv auf den Abschlussball der Tanzschule vor. Das Männlein erzählte ein trauriges Märchen von einer Prinzessin, die von ihrer bösen Stieftante, der Königin, verfolgt wird, und nur ein gut aussehender, dunkel gelockter Prinz steht ihr zur Seite. Auf die Frage, ob dies der niederländische Kinderkanal sei, beschieden mir die Redakteure schmallippig, dass das Männlein ihr Ministerpräsident sei und dies auch kein Märchen, sondern eine Staatsaffäre um das Königshaus, die man sehr ernst nehmen müsse. Ich gehe aber stark davon aus, dass die Kollegen mich auf den Arm nehmen wollten.

Die Niederländer beschäftigen sich augenscheinlich so umfassend und gerne mit den Wirrungen bei Königs, weil ihre echten Politiker nicht viel hermachen. Der Gegenspieler des bebrillten Klassenprimus ist ein sozialdemokratischer Warren Beatty, der außer einem knackigen Hintern auch nicht viel Substanzielles zu bieten hat. Einmal in der Woche treffen sich der Klassenprimus und der Beau zu einem kräftigen Frühstück, das offiziell Koalitionsgespräch heißt. Man verhandelt ein wenig lustlos vor sich hin und vertagt sich dann rasch und erleichtert, dass man sich wieder nicht handelseinig wurde, auf die kommende Woche. So lange macht die seit über einem Monat längst abgewählte alte Rechtsregierung ungeniert weiter und denkt sich tolle Sachen aus, um noch ein paar mehr Flüchtlinge aus dem Land rauszuwerfen.

Mitte der vergangenen Woche hat der Niederländer wieder mal irgendetwas gewählt, diesmal die Regierung der Provinzen, die so ein bisschen wie die deutschen Bundesländer sind. Aber nach einem Tag war das Thema in den Medien durch und man wandte sich erneut der Prinzessin und ihrem Zickenkrieg zu. Ein Volk, das an einem ordinären einkaufsoffenen Mittwoch wählen geht, misst der Stimmabgabe wahrscheinlich ungefähr so viel Bedeutung bei wie einem Gang zum Media Markt. Letztens haben sich zehn niederländische Journalisten durchaus eifrig bemüht, mir das Regierungssystem ihres Landes zu erklären. Es gab unter ihnen etwa 17 verschiedene Versionen, welche Kammer des Parlaments die Gesetze macht und wer für die Kontrolle der Regierung verantwortlich ist.

Alle 400 Jahre wird in den Niederlanden mal ein Politiker umgebracht, aber dazwischen herrscht relative Ruhe. In Rotterdam muss man allerdings das Gefühl haben, als habe der letzte politische Mord aus dem Vorjahr überhaupt nicht stattgefunden. Pim Fortuyn, der eloquente Rassist, ist weiterhin allgegenwärtig, seine Bücher, sein Foto, seine vermeintlichen Weisheiten. Letztens habe ich im Free Records Shop in der Rotterdamer Fußgängerzone ein Pim-Fortuyn-Video vom Grabbeltisch für 4 Euro 95 erstehen wollen, um diesem Phänomen auf die Spur zu kommen: 90 Minuten Dandy Pim, der auf dem Cover in stilvolles englisches Tuch gekleidet und mit zwei Schoßhündchen an der Leine in die Kamera lächelt. Ich hab mich aber nicht getraut, mit dem Video zur Kasse zu gehen, an der eine wunderschöne schwarzhaarige Marokkanerin bediente, um bei ihr nicht sofort als rassistischer und zudem deutscher Maghreb-Hasser und Gesinnungsnazi abgestempelt zu sein. Ich bin eine Viertelstunde in dem Laden herumgeschlichen, verstohlen zur Kasse blickend, ob die Marokkanerin vielleicht von einem rotwangigen vierschrötigen Buren abgewechselt wird. War aber nicht. Ich hatte mir daraufhin auf Niederländisch schon den beim Kauf von Pornoheften am Kiosk beliebten Satz „Es ist für einen Freund“ zurechtgelegt, den ich beim Vorlegen an der Kasse murmeln könnte.

Ich hab dann eine bessere Idee gehabt. Beim Zeitschriftenladen um die Ecke habe ich mir De groene Amsterdammer, die wöchentliche intellektuelle Grundnahrung für jeden linken Niederländer, besorgt, und bin mit der Zeitschrift für jeden sichtbar unter dem Arm in den Plattenladen zurückgekehrt. Ich bin mit dem in die Zeitschrift eingewickelten Video zur Kasse gegangen, habe das Magazin wie zufällig mit dem Titelblatt nach oben auf den Tresen gelegt und das Kaufobjekt im festen Bewusstsein, der ganze Laden starre mich an, der hübschen Marokkanerin in die Hand gedrückt. Sie hat mich angelächelt und gesagt: „4 Euro 95, alstublieft.“

Am nächsten Tag habe ich in der Zeitung gelesen, dass im Mai ein Denkmal für Fortuyn mitten in der Innenstadt errichtet werden soll.

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