Integrative Meditationen in Beton

Paraffin verleiht Flügel: Im Pavillon des Gerhard-Marcks-Hauses fangen Betonkörper an zu schweben, zu sprechen und zu meditieren – über Serge Poliakoff, den Kosmos und den ganzen Rest

Es herrscht eine geradezu sakrale Ruhe und Andacht im Inneren des kleinen Pavillons. Ein Messingschild neben dem Eingang weist ihn zwar als ehemalige öffentliche Bedürfnisanstalt aus – die Betonreliefs an seinen Wänden verleihen ihm jedoch die Atmosphäre einer Kapelle. Schwungvolle Kurven und Diagonalen strukturieren und begrenzen die Flächen der Plastiken. Sie setzen sich in Einlegearbeiten aus Paraffin fort, die die Betonstrukturen aufbrechen und ihnen Transparenz und Leichtigkeit geben. Trotz ihres Gewichts scheinen die Objekte vor der Wand zu schweben.

Mit ihrer Skulpturen-Ausstellung „Mémoires“ im Pavillon des Gerhard-Marcks-Hauses inszeniert die Bremer Bildhauerin Barbara Deutschmann ein „Gespräch zwischen Kunstwerken“: die Idee zu ihren Skulpturen war die Vorstellung eines Dialoges zwischen ihren Objekten und den Gemälden des abstrakten Malers Serge Poliakoff (1900 - 1969).

Im vergangenen Sommer hatte sie in Paris, der Wahlheimat des russischstämmigen Künstlers, eine Ausstellung seiner Werke besucht. Die Erinnerungen an diese Begegnung hat sie nun in ihrer eigenen Formensprache verarbeitet, mit der sie sich deutlich vom Vorbild absetzt. Anders als Poliakoffs Flächenkompositionen unterliegen Deutschmanns Skulpturen einer strengeren Geometrie. Ihre einzelnen Elemente sind gleichmäßig monochrom eingefärbt.

Inspiriert von Poliakoffs sich ineinander verschränkenden Farbflächen bestehen Deutschmanns Wandreliefs aus sich wechselseitig durchdringenden Elementen, die sich trotz ihrer Gegensätzlichkeit harmonisch verbinden. Das weiche und mit äußerster Vorsicht zu handhabende Paraffin füllt die Lücken und Löcher im harten Beton. Es ergänzt dessen gebrochene Formen zu einem dynamischen Ganzen. Die kräftigen, durchscheinenden Farben des Kunstwachses bilden starke Kontraste zu den ruhigen Pastelltönen des Betons. Die Transparenz des Wachses verleiht den Flächen räumliche Tiefe, lässt eingebettete Strukturen schemenhaft durchscheinen.

Auf einer zweiten Ebene findet ein weiterer Dialog statt: zwischen Deutschmanns Objekten und dem sie umgebenden Raum. So wie Poliakoffs Gemälde durch die Darstellung der Einheit zwischen dem Menschen und seiner Umwelt immer einen deutlichen Bezug zur Wirklichkeit behielten, beziehen die Skulpturen die räumlichen Gegebenheiten des Pavillons mit ein. Sie winden sich um Ecken herum, fügen sich exakt in Fensterbögen ein und verleihen selbst einer aus der Wand herausragenden Unterputzdose künstlerische Signifikanz.

„Meine Arbeiten haben häufig meditativen Charakter“, sagt die 42-jährige Künstlerin. „Sie sind sowohl bewegt als auch kontemplativ, als würden sie in einer Bewegung kurz innehalten.“

Dieses aufmerksame, unangestrengte Schauen überträgt sich mit der Zeit auch auf den Betrachter. Während die gegenständliche Kunst nur in ihrem Bilderrahmen existieren könne, hatte Poliakoff einmal erklärt, gehe die abstrakte Kunst über diesen Rahmen hinaus, um einen Kosmos zu erschaffen. Deutschmanns Skulpturen hingegen erschaffen den Raum nicht, sondern beziehen ihn mit ein, verbinden sich mit ihm zu einem Ganzen. Der Betrachter wird ein Teil davon.

Till Stoppenhagen

Barbara Deutschmann: „Mémoires“. Pavillon des Gerhard-Marcks-Hauses, Am Wall 208. Öffnungszeiten: Di bis So 10 - 18 Uhr, Mo geschlossen