Krieg spielen, noch bevor er begonnen hat

Vor allem Kinder kurdischer Herkunft reagieren derzeit auffällig auf die Nachrichten aus dem Irak. Oft bekämpfen sie sich gegenseitig. Erzieher und Psychologen führen das vor allem auf den Umgang der Eltern mit dem Thema zurück

Kinder gehören seit je zu den allerersten Opfern des Krieges: als Hungernde, als Verletzte, als Getötete, als Waisen und als Kindersoldaten. Doch der seit Monaten drohende Irakkrieg, dessen unmittelbar bevorstehendem Ausbruch die Erwachsenen zuzusehen scheinen wie einem drohenden Vulkanausbruch, belastet Kinder und Jugendliche auch hierzulande, scheinbar fernab vom potenziellen Kriegsschauplatz.

In Kreuzberg beobachten Kita-Erzieherinnen derzeit mit Sorge Verhaltensweisen der jüngeren Schulkinder. Anita Brümmer, langjährige Leiterin der Kita Urbanstraße 48, fällt auf, dass die Hortkinder in diesen Tagen verstärkt Krieg spielen: „Sie bekämpfen sich gegenseitig und benutzen dazu wirklich auch symbolisch eine Waffe, sammeln sich regelrecht Stöcke und bekriegen sich.“

Insbesondere bei den acht- bis neunjährigen Jungen sei dies zurzeit „sehr auffällig“. Ein Teil dieser jüngeren Kinder ist nach Beobachtungen der Kitaleiterin kurdischer Herkunft. Deren Verwandte im Nordirak leiden bekanntlich unter dem Diktator Saddam Hussein und befürchten zugleich den Einmarsch türkischer Truppen im Kriegsfall. In ihren Familien herrscht deshalb verständlicherweise große Unruhe und Besorgnis.

„Und was die Erwachsenen beunruhigt, beunruhigt auch die Kinder.“ Das weiß die Diplompsychologin Sabine Skutta aus ihrer interkulturellen Beratung von Familien beim Arbeitskreis Neue Erziehung in der Boppstraße in Kreuzberg.

Ihr Kollege, der Psychologe Mouhammed Issmail, stellt zurzeit fest, dass in den nichtdeutschen Familien unterschiedlich mit dem Bedrohungsszenario des Krieges umgegangen wird. Während die einen „das Thema verdrängen“, „am besten nicht darüber nachdenken“ wollen, um „erst mal Ruhe zu haben“, haben die anderen, besonders arabische Familien, das starke Bedürfnis, darüber zu sprechen.

Sie fürchten zudem, dass der Krieg Terroranschläge nach sich ziehen könnte, die in der deutschen Bevölkerung den Hass auch gegen arabische Kinder und Erwachsene schüren könnten. „Aber“, so Mouhammed Issmail, „ob man das anspricht oder nicht, man spürt immer die Angst von diesen Menschen. Und von den Kindern.“

Die Kinder äußern ihre Ängste jedoch nicht unbedingt direkt, sondern eher in Form von Unruhe oder Unwohlsein. Oder in Form aggressiver Spiele und ethnischer Abgrenzungen. Anita Brümmer weiß zum Beispiel, dass arabische und türkische Jugendliche im Kiez sich derzeit verstärkt voneinander abgrenzen, „dass da nichts mehr miteinander geht“.

In der Tiergartener Jugendeinrichtung „Kubu“ haben die Erzieherin Velihe Ergün und ihr Kollege Ahmad Hijazi bislang noch keine derartigen Reibereien zwischen Jugendlichen unterschiedlicher ethnischer Herkunft beobachtet. Doch der drohende Irakkrieg belastet auch dort die Jugendlichen. Der 19-jährige Mikel etwa, in Berlin geboren, macht sich sogar „große Sorgen“ um seine Verwandten in Ägypten. In seiner Familie redet und diskutiert man „sehr viel“ über die bedrohliche Lage und verfolgt gebannt die Nachrichten.

Der 16-jährige Toby dagegen hat enge familiäre Bindungen an die USA. „Ich bin halb Amerikaner und halb Afrikaner“, sagt er. „Die Eltern meiner Familie leben in Amerika. Und ich besuche sie jedes halbe Jahr dort.“ Für Toby ist das Schlimme an der derzeitigen Lage, dass „unschuldige Menschen, die keinen Krieg haben wollen, wie wir jetzt, mit hineingezogen werden“. Er sorgt sich, dass an einem Krieg im Irak letztlich „auch Deutschland mitbeteiligt sein könnte“. Über alldem vergisst er nicht, wer die unmittelbar und am schwersten Leidenden sind: „Natürlich die Kinder in Irak. Das sieht fast gar kein Schwein“, findet er und: „So was von Scheiße.“

Sabine Skutta vom Arbeitskreis Neue Erziehung ahnt, dass solche Ängste unter Kindern und Jugendlichen noch einmal massiv zunehmen können, wenn uns die ersten Bilder und Schlagzeilen des Kriegsausbruchs erreichen. Sie rät Eltern, ihren Kindern dann als Gesprächspartner zur Verfügung zu stehen, zu warten, ob von den Kindern Fragen kommen, oder sie vorsichtig anzuspechen. HERBERT BECKMANN