■ Wo bleibt die Leistung derjenigen, die keine Leistung erbringen: der Kapitaleigner?
: Bettel-Lizenzen statt Sozialhilfe!

betr.: „Deutschlands neue Hoffnung: Kranke, Alte, Arbeitslose“ (Kanzler-Rede), taz vom 15. 3. 03

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, mit Begeisterung habe ich Ihre Rede vor dem deutschen Bundestag verfolgt. Es wird wirklich Zeit, dass Sie diesen faulen Schmarotzern endlich das Handwerk legen und die Arbeitslosenhilfe drastisch kürzen. Wissen wir doch alle, dass es bei uns in Wahrheit genug Arbeitsplätze gibt, aber der Großteil der 4,7 Millionen Erwerbslosen lieber ein luxuriöses Leben auf Kosten des Staates führt.

Vielleicht sollten Sie noch drastischer durchgreifen und auch die Sozialhilfe in Frage stellen. Verteilen Sie stattdessen Bettell-Lizenzen auf Selbstständigenbasis, das ist gut für die Arbeitlosenstatistik und den Staatshaushalt und bringt diese Typen endlich wieder zu wohlverdientem Lohn und Brot.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler, gern würde ich nun mit Freuden Ihrer Partei beitreten. Könnten Sie möglicherweise noch den Parteinamen ändern und das Wort „sozial“ daraus streichen?

STEFAN POPLONYK, Berlin

Für Schröder, Bütikofer und ihre Standesgenossen sind Alte, Kranke und Arbeitslose eine „untragbare Belastung“, früher hätte man wohl gesagt: unnütze Esser. Darum auch sind wir ja umdefiniert worden und gelten nicht mehr als natürliche Personen (also Menschen), sondern als „Ich-AG“. Soll heißen: Die Eigentumsrechte an dem jeweiligen Ich liegen bei einem Kreis anonymer Anteilseigner, und diese Anteilseigner – vertreten durch den Herrn Aufsichtsratsvorsitzenden Gerster – entscheiden, ob in das betreffende Ich noch einmal investiert wird. […]

GERHARD PAULI, Düsseldorf

Wen hat es getroffen? Die, die wenig haben und vor allem kaum eine Lobby. Kein Wort zum Subventionsabbau, kein Wort zur lange, lange überfälligen Reform der Beamten-Altersvorsorge (und deren Privilegienkatalog). Problem: Politik wird von Damen und Herren gemacht, die nie betroffen sind von dem, was sie anderen zumuten. HARTMUT ECKERT, Hörstel

Durch Schröder wird der Weg zur Massenverarmung und Altersarmut in Deutschland geebnet. „Modernisierung“ mit dem Brecheisen, aber in das 19. Jahrhundert. Bisher hat unsere Sozialgesetzgebung das uns Deutschen fehlende natürliche Fürsorgeempfinden und die fehlende Solidarität für Menschen bei Arbeitslosigkeit und in Not ausgeglichen. Soll man Umfragen Glauben schenken, mit Befürwortung von zwei Dritteln der Bürger. Die wollen lieber die eigenen Taschen voller sehen. Offensichtlich handelt es sich dabei nicht um von Arbeitslosigkeit Betroffene, denn die wissen, dass man von Sozialhilfe nicht menschenwürdig leben kann. […] HANS-DIETER HEY, Präsidium Erwerbslose Ver.di Köln

Wie immer spiegelt sich in Ihren Meinungen wirtschaftlich nicht vorhandener Sachverstand. Die Mindestbesteuerung für „Konzerne“ trifft alle Kapitalgesellschaften, damit auch die kleine GmbH des Schreiners und aller sonstigen Handwerker. Wenn diese, bedingt durch mangelnde Aufträge und Schwarzarbeit, durch weniger Aufträge in ihrer Bilanz Verluste ausweisen, wo bitte, soll dann nach Ihrer Meinung die Liquidität zur Steuer für nicht verdienten Gewinn herkommen. Fragen Sie doch mal Ihren Handwerker um die Ecke oder Selbständigen aus Ihrer Stadt und schwafeln sie nicht dauernd als Theoretiker, die das Wort Selbstständigkeit wie folgt buchstabieren: „Geld kommt von der Bank und Strom aus der Steckdose“. ALEXANDER KREKEL, München

Das war keine Regierungserklärung, sondern eine Negierungserklärung. Eine Rede, die suggeriert, es könne für die Mehrzahl der Menschen in diesem Lande nahezu alles beim Alten bleiben, wenn man bei gesellschaftlichen Gruppen ohne Lobby drastische Einschnitte vornimmt. Eine Rede, die unterschlägt, dass die Gesamtgesellschaft über ihre Verhältnisse lebt und nicht umhin kommt, sich von innen heraus zu modernisieren, will sie ihren Wohlstand nicht leichtfertig verspielen.

Gerhard Schröders Weg aus der Deutschlandkrise ist ein aus der Not heraus geborenes Kostensenkungsprogramm für die Gegenwart. Der Kanzler bleibt weiterhin nachhaltige Ideen mit Perspektive schuldig. […] RASMUS PH. HELT, Hamburg

Die Titel-Schlagzeile war einfach super heute, passend und ironisch zugleich. Vor dem Weiterlesen musste ich erst mal einige Minuten lachen. So entschädigt mich die taz etwas für die bedenkliche Politik unserer Regierung. GUNTHER SEUFERT, Konstanz

„Niemand wird sich entziehen dürfen“, sagte der Kanzler, und man darf sich fragen, ob das als rhetorische Glanzleistung zu werten ist, weil er damit nicht gesagt hat, „niemand wird sich entziehen können! Denn schaut man sich die kurze Liste der als Opfer zur Rettung des Standortes D Auserkorenen an, so trifft es wieder einmal nur die, bei denen es nur die Masse bringt: Arbeitnehmer, Arbeitslose, Sozialhilfebezieher.

Wo aber bleibt der Beitrag derjenigen, die selbst keine Leistung erbringen, sondern ihr Kapital für sich „arbeiten“ lassen, was ihnen mit über 370 Milliarden Euro jährlich (Zinserträge der Banken) vergolten wird? Warum nicht endlich dort zugreifen, wo Substanz vorhanden ist? Doch hier erweist sich nicht nur die Regierung, sondern auch die Opposition als völlig ohnmächtig und – was noch schlimmer ist – unwillig, daran etwas zu ändern. Stattdessen werden die Leidtragenden auch noch für dumm verkauft und Arbeitslose gegen Sozialhilfeempfänger gehetzt.

Doch kann eine solche zerfallende Gesellschaft im Sinne der wenigen Gewinner sein? […]

VOLKER FREYSTEDT, Wörthsee/Oberbayern

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