Blut für Öl in Sudans Sümpfen

Neue Runde von Friedensgesprächen für Sudan startet ohne große Hoffnungen. In den Ölfördergebieten des Landes wird längst wieder gekämpft. Sudans Armee rüstet sich mit Ölgeldern auf und vertreibt die Bevölkerung in den Fördergebieten

aus Dhorkeer ILONA EVELEENS

Zwei Frauen balancieren Eimer auf den Köpfen, während sie bis zur Taille im Wasser durch den schlammigen Sumpf waten. Als sie auf eine Sandbank hinaufgeklettert sind, wringen sie beide ihre Röcke aus. Kinder aus dem Dorf begrüßen die beiden Frauen mit Freudenschreien. Neugierig schauen die nackten Knirpse in den Eimer: Wurzeln von Wasserrosen – das Essen für den Tag.

Dhorkeer ist auf keiner Landkarte von Sudan zu finden. Dreizehn Hütten aus Lehm mit Strohdächern zählt der Ort in der südsudanesischen Provinz Western Upper Nile. Am Rande von Dhorkeer stehen noch ein Dutzend Hütten – vollständig aus Stroh. Hier wohnen seit Jahresanfang Flüchtlinge.

„Mit etwa hundert anderen bin ich hierher gekommen, weil der Sumpf Wasser und Essen bietet“, erzählt William Nuor. „Aber im hohen Ried haben einige ihre Kinder verloren.“ Horizontale Linien verzieren seine Stirn. Es sind die Tätowierungen der Nuer, des Hirtenvolks dieser Region. „Die Waffen schweigen zwar, aber ich habe Angst davor, nach Hause zurückzugehen“, meint der Mann. „Die Regierungstruppen sitzen immer noch dort.“

Einen Tag und eine Nacht liefen er und seine Familie von ihrem Dorf nach Dhorkeer, als die Armee angriff. Kurz danach kehrte William Nuor mit einigen anderen Männern heimlich zurück, um noch ein paar Sachen zu holen. „Aber alles war weg, einschließlich des Daches. Wir erfuhren, wie Milizen die schmutzige Arbeit für die Armee machen. Tagsüber bleiben sie im Wald. Nachts kommen sie aus ihrem Versteck, zusammen mit den Arbeitern, die die Straße nach Adok bauen.“

Der Bau der Trasse vom Ort Ler nach Adok, einem Hafen am Nil, war der Anlass für die Angriffe der Regierung. Die vertreibe die Bevölkerung, um ungestört Öl zu fördern, behauptet die südsudanesische Rebellenbewegung SPLA (Sudanesische Volksbefreiungsarmee). Auf der Straße sollten Materialien für die Ölförderung transportiert werden.

Öl ist der Grund dafür, dass Sudans jahrzehntealter Krieg jetzt neu aufgeflammt ist. 1999 fingen ausländische Konzerne – vor allem aus China und Malaysia – mit der Förderung im Sudan an. Die Erträge verschwinden zum Großteil in der Kriegsmaschine der Regierung. Dadurch geriet das bisherige militärische Gleichgewicht zwischen Armee und SPLA aus der Balance.

Unter großem internationalem Druck begannen voriges Jahr die Regierung und die Rebellen Verhandlungen im Nachbarland Kenia. Frieden schien kurze Zeit greifbar, als im Juli 2002 beide Parteien übereinkamen, dass nach sechs Jahren der nichtarabische Süden per Volksabstimmung über die Unabhängigkeit entscheiden kann. Auch akzeptierte die Regierung, dass das islamische Scharia-Strafrecht bloß im muslimischen Nordteil gilt.

Aber seit die Verteilung der Bodenschätze zur Diskussion steht, sind die Friedensgespräche mehr oder weniger zum Stillstand gekommen. Gestern sollte eine neue Runde beginnen.

„Ich verstehe nicht, warum jetzt wieder gekämpft wird. Es gibt doch Waffenruhe“, brummelt Kom Chuol. Er sitzt im Schatten vor seiner Strohhütte. Die Augen in seinem verwitterten Gesicht starren in die Ferne. Kom Chuol ist blind. Seine Familie führte ihn an der Hand durch den Sumpf nach Dhorkeer, als sie hierher floh. Ein Nachbar versucht, es ihm zu erklären: „Öl! Das ist Reichtum.“ Kom Chuol zuckt mit den Schultern. Er hat keine Ahnung, was Öl ist. „Ich kenne nur einen Reichtum: mein Vieh“, erwidert er. „Wir hatten es so eilig zu fliehen, dass wir die Tiere zurückließen, um sie später zu holen. Aber als die jungen Männer von meinem Dorf die Ziegen und Kühe holen wollten, wurde klar, dass die Milizen die Tiere mitgenommen haben.“

Am Öl verdient Sudan jährlich etwa 500 Millionen Euro, während 95 Prozent der Bevölkerung unter der absoluten Armutsgrenze von einem Dollar pro Tag lebt. Der seit 1983 andauernde Krieg hat ungefähr zwei Millionen Menschenleben gekostet und mehrere Millionen Südsudanesen vertrieben.

„Die Ölerträge gehen an die Armee, die jetzt mit fortschrittlicher Technologie ausgestattet ist“, sagt ein ausländischer Beobachter. „Was übrig bleibt, verschwindet in den Taschen der Machthaber.“