Das Jucken der Großstadt

Das Oldenburger Landesmuseum würdigt das Werk des US-amerikanischen Fotografen Weegee

Im Blitzlicht: Drastischer Realismus und ein Hauch von Hollywood

„Man musste eine ziemlich handfeste Geschichte haben, um die Redakteure dazu zu kriegen, Bilder zu kaufen.“ Und Weegee wusste, wie der Hase läuft.

Folglich stürzte sich der 1899 als Usher Felling in Lemberg geborene Fotograf, der 1910 in die USA immigriert war, mit vollem Einsatz ins Nachtleben New Yorks. Was jetzt im Oldenburger Landesmuseum zu sehen ist.

Als erster Pressefotograf durfte „Weegee The Famous“ – so der Titel der Ausstellung – den Polizeifunk abhören. Und war dann mit seiner mobilen Dunkelkammer im Kofferraum als Erster vor Ort. Er knipste brennende Häuser, ermordete Gangster und immer wieder die umstehenden Menschen: ihre Schaulust, ihr Entsetzen. Dieser Schwenk vom Opfer auf das Publikum führt zu distanzlosen Bildern, die jedoch nie in dumpfen Voyeurismus verfallen.

Selbst dann nicht, wenn Weegee sieht, wie sich Menschen um einen mit Zeitungen bedeckten Toten drängen. Im Hintergrund seiner Aufnahme prangt Werbung für einen Film: „The Joy Of Living“.

Das ist typisch für die Arbeitsweise des Fotografen: Er kommentiert, er wertet. Das gilt auch und vor allem für seinen Blick auf die Armen der Stadt. Weegee hatte einst selbst in Missionshäusern und Parks genächtigt. Das macht ihn zum glaubwürdigen Mittler zwischen Motiv und Betrachter.

Mit der Kamera hält er Menschen fest, die schlafend auf Feuerleitern liegen. Oder einen Mann, der auf der Toilette zusammen gesackt ist. Oder dickliche Tänzerinnen mit Dollars im Strumpf. Aber auch Kinder, die im Strahl eines Hydranten duschen. Oder Osterspaziergänger in Harlem. Weegee hat tatsächlich „die Seele der Stadt fotografiert“. Immer in Schwarz-Weiß. Und am liebsten bei Nacht und mit Blitz. Das Ergebnis: starke Kontraste. Ein Hauch von film noir durchweht die Ausstellung.

Dass Weegee auch ein großer Selbstdarsteller war, davon kündet eine Aufnahme, die ihn im Königlichen Ornat mit Szepter zeigt. Auch seine Auskünfte über die eigene Arbeit tragen Züge der Selbststilisierung. Wie auch sein Spitzname „Weegee“. Dieser leitet sich vom „Witchboard“ ab, einem amerikanischen Wahrsagegerät.

Ein Mythos umgibt auch eines seiner berühmtesten Fotos: „The Critic“. Zwei juwelenbehängte Damen sind auf dem Weg aus der Metropolitan-Opera und eine heruntergekommene Frau nähert sich von links. Weegee selbst kolportierte, er habe dieses Bild der Gegensätze selbst erst beim Entwickeln entdeckt. Inzwischen weiß man: Es handelt sich um eine geschickte Inszenierung. Der findige Fotograf hatte eine Alkoholikerin aus dem Armenviertel heranschaffen lassen. Ihr Auftritt erfolgte auf Kommando.

Weegee mag weniger bekannt sein als Lyonel Feininger oder George Grosz, deren New York-Impressionen ebenfalls schon im Landesmuseum gezeigt wurden. Das mag daran liegen, dass dem Fotografen nach seinem Triumph mit dem 1945 veröffentlichten Fotoband „Naked City“ kein vergleichbarer Erfolg mehr beschieden war.

Der Nachfolgeband „Weegees People“ verkaufte sich nur mäßig, „Naked Hollywood“ schließlich wurde 1953 ein lupenreiner Flop. Die darin enthaltenen Bilder der Reihe „Distortions“, mit Zerrlinse verfremdete Portraits von Stars wie Marilyn Monroe, wollte niemand sehen. Heute ist das anders: Gerade der Wechsel von drastischem Realismus und spielerischer Leichtigkeit macht die Begegnung mit Weegees Werk lohnend. Christoph Kutzer

„Weegee –The Famous“, bis 14. März, Oldenburger Landesmuseum. Geöffnet: Di, Mi und Fr 9 - 17 Uhr, Do 9 - 20 Uhr, Sa und So 10 -17 Uhr