„Es gibt auch das andere Brandenburg“

Es geht nicht darum, mit Jörg Schönbohm alte Schlachten zu schlagen, sagt Wolfgang Wieland. Neben der Innenpolitik setzt der Spitzenkandidat der Brandenburger Grünen deshalb auch auf die Förderung ökologischer und innovativer Technologien

Jörg Schönbohm hat sich gleich auf mich gestürzt und gesagt, hier ist alles andersEinem besorgten Eisenhüttenstädter kann ich nicht sagen: Werde Lebenskünstler

INTERVIEW UWE RADA

taz: Herr Wieland, haben Sie in dieser Woche schon einen Anruf von Jörg Schönbohm bekommen?

Wolfgang Wieland: Nein, aber ich habe ihn beim Neujahrsempfang der Landespressekonferenz getroffen. Er stürzte gleich auf mich zu.

Voller Vorfreude auf einen spannenden Wahlkampf?

Überraschenderweise, ja. Er warnte mich gleich, in Brandenburg sei alles ganz anders, Hausbesetzungen und dergleichen spielten da keine Rolle. Das würde ich aber noch lernen.

Auf welcher Seite war die Wiedersehensfreude größer?

Dass ich ihn in der Tiefe des märkischen Raumes einmal aufspüren würde, war klar. Ich sage aber immer auch gerne: Dass Schönbohm in Brandenburg Innenminister ist, ist ein nicht unliebsamer Nebeneffekt meiner Kandidatur. Es geht aber nicht darum, alte Schlachten zu schlagen, sondern um die aktuellen innenpolitischen Probleme in Brandenburg.

Manche nehmen Ihnen das nicht ab.

Das wird sich zeigen. Natürlich haben Überschriften wie „Der General und der Grüne“ mit dieser Vorgeschichte zu tun. Das ist aber nicht weiter schädlich, weil wir als außerparlamentarische Opposition, die wir bisher sind, auch wahrgenommen werden müssen. Die Gesamtresonanz auf meine Kandidatur hat aber gezeigt, dass es um die gesamte politische Breite geht.

Bleiben wir bei der Innenpolitik. Es gibt in Brandenburg kein vergleichbar liberales Milieu wie in Berlin. Wie wollen Sie vor diesem Hintergrund Schönbohm Paroli bieten?

Es gibt ein Milieu, das von Schönbohm geradezu abgestoßen wird. Wie viele das sind, wird man sehen. Aber das Bild, dass ganz Brandenburg eine Law-and-Order-Region sei, die in Schönbohm ihren Zuchtmeister gefunden hat, ist falsch. Es gibt auch so etwas wie das andere Brandenburg. Das ist auf der einen Seite ein urbanes und auch studentisches Milieu, das zum Beispiel in Potsdam längst vorhanden ist. Und auf der anderen Seite ein Milieu um Kirchen, Friedensgruppen und Initiativen wie der gegen das Bombodrom.

Was sind Ihre Forderungen, mit denen Sie in diesem Bereich in den Wahlkampf gehen: Zuwanderung? Flüchtlinge?

Ein Umsteuern in der Flüchtlingspolitik ist dringend nötig. Dazu gehört auch die Einstellung des staatlichen Kampfes gegen Asyl in der Kirche. Wir brauchen eine Härtefallkommission auch in Brandenburg. Und natürlich brauchen wir ein antirassistisches Klima. Ein Innenminister, der denen den Rücken stärkt, die meinen, selbst in Brandenburg sei das Boot voll, ist in einer Region, in der Übergriffe noch immer Schlagzeilen machen, fehl am Platz.

Ist diese Frage des Klimas nur eine Frage der Person Schönbohm?

Nehmen Sie das Beispiel Verfassungsschutz. So wie es in Berlin nötig war, das Landesamt für Verfassungsschutz aufzulösen und neu zu begründen, wird es auch in Brandenburg nötig sein. Die Verschleppung dieser V-Mann-Affäre lässt gar keinen anderen Schluss zu.

Können Sie mit solchen Forderungen auf die ungeteilte Zustimmung der Basis rechnen?

Es gibt sicher keinen Widerspruch dahin gehend, dass die Grünen insgesamt ein liberaleres und toleranteres Brandenburg wollen. Unterschiedliche Meinungen gibt es dagegen beim Thema Länderfusion. Da gibt es in den berlinfernen Regionen deutlich größere Vorbehalte als im so genannten Speckgürtel.

Das heißt, auch die Grünen in der Uckermark fürchten sich vor den unabsehbaren Folgen der Berliner Finanzmisere.

Ohne jede Frage. Sie gehen auch davon aus, dass sie mit diesem Thema im Wahlkampf nicht punkten können.

Wie zerstreuen Sie die Zweifel?

Indem wir Garantien vorschlagen, die in die Verfassung sollen. Wir brauchen eine eindeutige Regelung im künftigen Einigungsstaatsvertrag, in der ohne Fallstricke drinsteht, dass Brandenburg nicht für die Altschulden Berlins einzustehen hat. Wir wollen festschreiben, dass das gemeinsame Land Berliner Schulden nur in der Höhe pro Kopf übernimmt, wie Brandenburg pro Kopf verschuldet ist. Was die Berliner darüber hinaus in die Länderehe einbringen, bleibt als Schulden bei der Stadt Berlin.

Wie wollen Sie diese Berliner Schulden aus der Länderehe heraushalten?

Wir hoffen sehr stark, dass Berlin die Entschuldungshilfe des Bundes bekommt, die es in Karlsruhe einklagt.

Das heißt, ohne Entschuldungshilfe keine Fusion.

Ohne Entschuldungshilfe wird es sehr schwer werden. Dann kann man ein solches Konstrukt zwar vereinbaren, kann aber nur schwer beantworten, wie die dann kreisfreie Stadt Berlin mit diesem Schuldenberg ihre kommunalen Aufgaben erfüllen soll. Ob Berlin dann überhaupt noch die Müllabfuhr für die landeseigenen Gebäude bezahlen kann.

Oder ob Berlin sich als kreisfreie Stadt noch seine Bezirke leisten kann.

Das muss es. Berlins Haushaltskatastrophe ist nicht durch die Bezirke entstanden. Darüber hinaus haben die Bezirke schon etliche Sparrunden hinter sich. Sie sind der Senatsebene da mindestens drei Jahre voraus. Im Übrigen kann man kommunale Demokratie nicht aus Geldmangel abschaffen. Wenn man das täte, wäre die nächste Frage, ob wir uns Bundestagswahlen noch leisten können.

Fusion und Innenpolitik sind das eine. Die eigentlichen Themen, die die Brandenburger bewegen, sind allerdings andere. Wirtschaft und Bildung zum Beispiel. Wer steht bei Ihnen im Wahlkampf für diese Themen?

Zunächst einmal treten mit Cornelia Behm und mir zwei Generalisten an, die das gesamte Themenspektrum abdecken. Was das Weitere betrifft, kann ich der Kandidatenaufstellung nicht vorgreifen. Wir werden aber sehen müssen, dass wir in diesen Bereichen auch Kompetenz demonstrieren. Auch bei der Haushaltskonsolidierung.

Was wären die Bausteine einer grünen Wirtschaftspolitik in Brandenburg?

Nachdem die Großprojekte im märkischen Sand versenkt wurden, herrscht großer Katzenjammer und auch ein bisschen Selbstkritik bei Matthias Platzeck. Was aber noch nicht in Angriff genommen ist, ist ein Umbau der Wirtschaftsförderung. Die wird es ja auch noch geben, wenn man den Etat verkleinert. Die Mittel müssen zielgerichtet in neue, innovative Technologien fließen. Das ist etwa der ökologische Bereich. Mit erneuerbaren Energien lassen sich Arbeitsplätze schaffen.

Gilt das auch im Zusammenhang mit der EU-Osterweiterung? Wie wollen die Grünen dafür sorgen, dass Brandenburg als Grenzregion von der Osterweiterung profitiert?

Neben der Ökologie muss man die zukunftsweisenden Entwicklungen etwa im Bereich der Biotechnologie stärken. Da gibt es Ansätze einer Clusterbildung zwischen Universität, Forschung und Wirtschaft, zum Beispiel in Golm. Diese Cluster sind klein, aber ausbaufähig, und sie haben schon ein internationales Renommee. Für uns ist es wichtig, an bereits Bestehendem anzuknüpfen und nicht zu glauben, schon wieder auf irgendeinem Acker einen Großinvestor zu Wundertaten zu bewegen. Natürlich kommt es mit der Osterweiterung auch darauf an, dass die Brandenburger Produkte in Osteuropa ihren Absatz finden. Das bedeutet auch, dass man die Region Berlin-Brandenburg gemeinsam vermarktet.

Die PDS fordert inzwischen, schon mit Beginn des Beitritts die volle Freizügigkeit zu gewähren. Würden Sie eine solche Forderung unterstützen?

Das scheint mir tatsächlich sinnvoll zu sein. Ich kann diese Angst vor einer neuen Einwanderungswelle, die insbesondere der Bundeskanzler hat, nicht teilen. Da gibt es fundierte Studien, die sagen, was wir bisher schon illegal haben, wird in Zukunft nicht mehr steigen. Stattdessen sollte man überlegen, wie man da zur Legalisierung kommt. Diese Diskussion wird oft noch scheinheilig geführt. Auf der einen Seite heißt es, das Boot ist voll, auf der andern holt man die polnischen Spargelstecher ins Land. Deshalb bin ich strikt für Öffnung, das reguliert sich dann von alleine.

Bei der Grundschulvergleichsstudie „Iglu“ kam Brandenburg mit Bremen auf die letzten Plätze. Warum fordern Sie nicht, dass sich die anderen Bundesländer an der Finanzierung des Brandenburger Schulwesens beteiligen? Schließlich wandern die Brandenburger Schüler ohnehin nach Bayern und Baden-Württemberg ab.

Wenn ich zum Karneval im Bundesrat eine Rede halten würde, würde ich das fordern. Aber im Ernst: Fehlendes Geld ist auch keine Entschuldigung, dass Brandenburg bei „Iglu“ oder „Pisa“ so schlecht abgeschnitten hat.

Woran liegt es dann?

Bildungsminister Reiche sagt, dass viel an Schulstruktur durch geburtenschwache Jahrgänge auseinander gebrochen ist. Dazu kommt das böse Stichwort von der „Verödung und Verblödung“. Die cleveren Eltern müssen wegziehen und mit ihnen gehen auch die fitteren Kinder.

Über Abwanderung und Schrumpfung wird ja viel diskutiert. Über eine Politik, die mit diesen Themen innovativ umgeht, nicht so sehr. Ist das auch ein Feld, auf dem sich die Grünen profilieren können?

Über die Entwicklung des ländlichen Raums diskutieren wir im Moment. Klar ist, dass die dezentrale Konzentration gescheitert ist. Bei der Wirtschaftsförderung wird das Geld nun dorthin fließen müssen, wo die Arbeitsplätze tatsächlich entstehen, und nicht dahin, wo wir diese Arbeitsplätze gerne hätten. Das heißt aber nicht, dass man in den peripheren Regionen nicht staatliche Infrastruktur erhalten muss. Das betrifft Schulen ebenso wie Krankenhäuser und Bürgerämter, die allesamt zumutbar erreichbar sein müssen. Ein weiteres Stichwort ist intelligente Mobilität. Der Rufbus ist da ein Beispiel, ein anderes wären Sammeltaxen.

In manchen Schrumpfungsregionen lautet die Problemstellung doch eher, wie kann man die Menschen in der Gesellschaft halten? Welche Angebote, von der Volkshochschule bis zum freien Bildungsträger, sind aufrechtzuerhalten, damit aus diesen Regionen keine wild zones werden, wie Soziologen schon warnen?

Die Perspektivlosigkeit der Dörfer zeigt sich in Straftaten, die in Brandenburg oft noch einen rassistischen Hintergrund haben. Wie man damit umgeht, da gibt es verschiedene Möglichkeiten. Wichtig ist aber, dass es in diesen Regionen weiterhin einen zweiten Arbeitsmarkt gibt. Der wird zum Teil noch mit Landwirtschaft zu tun haben. Der kann aber auch die touristische Infrastruktur, zum Beispiel den Ausbau des Radwegenetzes, beinhalten. Wichtig ist auch, den Verödungsprozess zu stoppen. Es muss in den wenig bevölkerten Regionen für jeden ein akzeptables Leben möglich sein.

Sie gehören also nicht zu denen, die einen geordneten Rückzug aus diesen Regionen anstreben.

Nein.

Und auch nicht zu den Utopisten, die glauben, diese Peripherien werden in Zukunft vor allem ein Ort der Bastler, Spinner und Lebenskünstler sein.

Die wird es natürlich geben, und dafür habe ich viel Sympathie. In der Uckermark entwickelt sich das schon. Aber wir müssen auch Antworten auf die Fragen des Eisenhüttenstädters haben, der sich um seinen Arbeitsplatz sorgt. Dem können wir nicht vorschlagen: Werde Lebenskünstler und Spinner.

Ihre Argumentation geht noch immer von der Vergesellschaftung über den Arbeitsmarkt aus, ob nun den ersten oder den zweiten. Gibt es denn auch eine Gesellschaft jenseits der Arbeit?

Noch sind wir in einer Arbeitsgesellschaft. Ich kann als Rentner selbstbestimmt ohne Arbeit leben, als 40-Jähriger kann ich es nicht. Da sind die Flucht in den Alkohol und die Zerrüttung das Problem. Die selbstbestimmten Individuen, die sagen, wir sind vom Joch befreit und verbringen unsere Zeit jetzt mit gesellschaftlicher sinnvoller Arbeit, die haben wir einfach nicht.

Das Brandenburger Wahlgesetz zwingt Sie, Ihren Wohnsitz nun nach Brandenburg zu verlegen. Freuen Sie sich schon?

Ich habe nie zu denen gehört, die mit der Familie aufs Land wollten. Insofern ist es eine politisch bedingte Reise. Ich werde nach Potsdam ziehen.

In die Jammerhauptstadt Deutschlands?

Das Jammern sollte aufhören. Das ist das Erbe von Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt aus einer Zeit, wo man versucht hat, als „kleine DDR“ zu überwintern.