Müssen nicht sehen

Berlusconi-Kritik wird geschnitten oder von einem Jubel-Sandwich umhüllt: Warum die RAI-Redakteure gegen die eigene Berichterstattung revoltieren

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Pierluigi Battista war sich ganz sicher: „Man kann sich Silvio Berlusconis Erfolge nicht mit seiner Fernsehmacht erklären“, sagte Battista, ebenso prominenter wie Berlusconi-naher Kommentator der Tageszeitung La Stampa, letzten Samstag im TV-Studio bei einer Diskussionsrunde über 10 Jahre Forza Italia. Eine Version, die vom Regierungschef selbst kräftig genährt wird: Der behauptet, er habe „85–90 Prozent der Presse“ und überhaupt das ganze Fernsehen gegen sich, seine eigenen Sender inklusive.

Den Journalisten beim „Telegiornale 1“ – dem Nachrichtensendung auf RAI 1 – muss das entgangen sein. Sie, die jeden Tag um 20 Uhr 15–18 Millionen Zuschauer mit News versorgen, sind seit Anfang der Woche in Aufruhr.

Es begann, als die Vize-Chefredakteurin des TG 1, Daniela Tagliafico, ihren Rücktritt einreichte. Vollkommen regierungshörig sei die italienische Tagesschau, warf sie dem Chefredakteur Clemente J. Mimun vor. Die halbe Redaktion solidarisierte sich. Mimun erklärte seinerseits trocken, er sei Opfer einer politischen Kampagne, lasse sich aber nicht einschüchtern. Das braucht er auch nicht, solange die gegenwärtige Regierung am Ruder ist, denn Mimun liefert Berlusconi-Information à la carte. Seit zwei Jahren ist Mimun Chef des TG 1 und seither beweist der Mann, der früher beim Berlusconi-Sender Canale 5 tätig war, Qualitäten, die ihn auch für einen Job in Nordkorea qualifizieren würden.

Als Italiens Regierungschef im Europaparlament Martin Schulz zum „Kapo“ beförderte, sendete ganz Europa diese Szene – bloß auf RAI 1 wurde sie nicht ausgestrahlt. Als Berlusconi dann letztes Jahr bei der UNO-Generalversammlung vor leerem Saal redete, schnitt das TG 1 ein bisschen, grub ein bisschen im Archiv – und zeigte einen proppevollen Saal. Und als Berlusconi bei seinem Prozess in Mailand auftrat, schwitzend und nervös, da wurden auch diese Bilder aus dem Beitrag geschnippelt.

Schneiden ist mittlerweile eine der wichtigsten Verrichtungen in der RAI-Nachrichtenredaktion; selbst der Papst ist vor der Schere nicht sicher. Jedenfalls dann nicht, wenn er – wie im letzten März – gegen den Irakkrieg und für die Pazifisten ist: Das müssen Italiens Zuschauer nun wirklich nicht wissen.

Stattdessen kriegen sie jeden Abend das „panino“ serviert, das „Brötchen“: ein Informations-Sandwich zweifelhafter Genießbarkeit. Egal welches politische Problem verhandelt wird: Erst haben die Vertreter der Berlusconi-Regierung das Wort, dann dürfen – gleichsam als hauchdünne Wurstscheibe – die Leute von der Opposition ein paar Sekunden ihre Statements abliefern, um sich zu guter Letzt aber von den erneut eingeblendeten Berlusconi-Politikern dementiert zu finden. Und wenn er nicht spurt, wird auch Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi dieser Prozedur unterzogen: Als Berlusconi letzte Woche den Euro für die italienische Inflation verantwortlich machte, hatte Ciampi Widerspruch gewagt. Der wurde auch gezeigt – abgeschlossen wurde der Beitrag aber mit dem Interview eines Lega-Nord-Politikers, der den Euro als „Raubzug gegen die Bürger“ abkanzelte.

Trotz des Aufstands seiner Redaktion muss sich Mimun nicht wirklich schämen – er liegt ganz auf Linie seiner Anstalt. Die RAI hatte nicht bloß zwei Berlusconi-kritische Magazinmacher in die Wüste geschickt, weil die – so Berlusconi – das Fernsehen „in krimineller Manier“ genutzt hätten. Der Staatssender hatte dann auch, als Abkehr von den Zeiten übler (und natürlich „roter“) „Parteilichkeit“, einen Berlusconi-Journalisten für das politische Wochenmagazin auf dem zweiten Kanal angeheuert, der dort schon mal Oppositionsabgeordnete so lange brüllend unterbricht, bis die entnervt das Studio verlassen.

Untragbar war dagegen die Satirikerin Sabina Guzzanti: Ihre Sendung flog letzten November nach nur einer Folge aus dem Programm, wohl auch wegen der guten Einschaltquote: Sie hatte über Berlusconi und seine Medienmacht gelästert.

Jetzt, da der RAI-Verwaltungsrat zwei Journalisten für eine tägliche Informationssendung direkt nach dem TG 1 ausgucken sollte, wurde Ferruccio De Bortoli zum Opfer eines Vetos der rechten Mehrheit. Sein Fehler: Als Chefredakteur des Corriere della Sera hatte der grundkonservative Mann gegen den Irakkrieg gestänkert und auch sonst ab und zu mal was gegen Berlusconi gesagt. Er wurde zum Rücktritt als Chefredakteur bewegt – und bleibt jetzt auch bei der RAI außen vor.

RAI-Präsidentin Lucia Annunziata, eine oppositionsnahe Journalistin, wurde im letzten Jahr berufen, mit dem expliziten Auftrag, als „Garantin“ des Pluralismus zu wirken. Sie musste so einmal mehr erleben, dass sie schier gar nichts garantieren kann. In einer Pressemitteilung ließ sie wissen, der von ihr vorgeschlagene De Bortoli sei „auf Druck der Regierung“ durchgefallen.

Schließlich sind im Juni Europawahlen, und die will Berlusconi gewinnen. Anderen überlässt er es derweil, über die Irrelevanz des Fernsehens für seine Erfolge zu schwadronieren.