GERHARD SCHRÖDER IST ALS KANZLER UND SPD-CHEF ÜBERFORDERT
: Die Grenze der Belastbarkeit

Würde Gerhard Schröder sich nicht so gern als autoritärer Macher gerieren, der allen sagt, wo’s langgeht, man könnte fast Mitleid empfinden für den einsamen Mann im Kanzleramt. Wohin er auch blickt: Nirgendwo geht etwas voran. Das Mautdesaster ist nur das lächerlichste Symbol der rot-grünen Winterstarre.

Noch nie stand ein Regierungschef in Umfragen so schlecht da wie Schröder. Was er auch tut – immer hagelt es Kritik. Will er die Beiträge zur Pflegeversicherung um 2,50 Euro steigen lassen, schreien Bild, Partei und Betroffene auf. Stoppt er diesen Plan, heißt es sofort, der Kanzler bekomme Angst vor der eigenen Courage und kehre zurück zur Politik der ruhigen Hand. Das ist so pauschal zwar Quatsch. Aber an dem neuen Image des Bremsers ändern auch sein Dementi und die gestrige Ankündigung von ein paar Reförmchen wenig.

Was nach dieser Woche hängen bleibt: Schröders Diktum von der „Grenze der Belastbarkeit“, die für viele Bürger nun erreicht sei. Was Mitgefühl ausdrücken sollte, wurde als strategisches Signal verstanden. Als Stoppschild für Reformen. Diese Wirkung war so nicht gewollt, ist jedoch kein Wunder bei einem Kanzler, der wie ein Getriebener vor sich hin zu rackern scheint, dessen Vision, so er denn eine hat, niemand erklären kann, am wenigsten er selbst. Bei so einem Kanzler stürzen sich die Journalisten unwillkürlich auf die seltenen, markanten Worte, mit denen er seine Politik beschreibt. Das rächt sich. Bis heute ist etwa das Wort vom „Gedöns“ präsent, mit dem Schröder die gesamte Familienpolitik für irrelevant erklärte.

Der Kanzler hat kein überzeugendes Konzept, in das man seine einzelnen Schritte und Sprüche einordnen könnte. Das Beispiel Pflege zeigt zudem, wie schwer es Schröder fällt, das Land wenigstens ein bisschen zu modernisieren und gleichzeitig seine zögerliche Partei zu beruhigen. Er ist in seiner Doppelrolle als Kanzler und SPD-Chef überfordert. Schröders Dilemma besteht darin, dass er die Hilfe eines starken Parteiberuhigers nötig hätte, aber nicht annehmen kann. Aus Mangel an ideeller Autorität braucht er jedes Zipfelchen seiner Macht. Gäbe er einen Teil von ihr ab, würde auch der Rest zerbröseln. LUKAS WALLRAFF