„Jeder tote Europäer ist eine Meldung wert“

Alexander Muth, der als menschlicher Schutzschild nach Bagdad reiste, meint, er sei keine PR-Hilfe für Saddam

taz: Sie waren bis vor kurzem als menschlicher Schutzschild in Bagdad. Warum sind Sie kurz vor dem amerikanischen Angriff ausgereist?

Alexander Muth: Wir sind weggefahren, weil wir einen Termin mit Palästinensern in Amman in Jordanien hatten.

Sie sind so kurz vor dem Krieg wegen eines Termins weggefahren?

Die Arbeit der letzten Wochen war sehr anstrengend. Wir brauchten eine Auszeit.

Was haben Sie bisher in Bagdad getan?

Ich bin Mitte Februar mit einer Gruppe Österreicher aufgebrochen. In Bagdad haben wir in verschiedenen Krankenhäusern mit Ärzten gesprochen, um uns mit der dortigen Situation vertraut zu machen. Zuletzt waren wir vier Tage lang als menschliche Schutzschilde in einem Bagdader Kommunikationszentrum. Dort waren 1991 die allerersten Bomben gefallen.

Warum sind Sie überhaupt zu dieser Schutzschildmission aufgebrochen?

In Österreich übersetze ich politische Analysen. Seit zwei Jahren beschäftigt mich dabei auch der Irak. Nach Bagdad bin ich gefahren, weil ich bei der Avantgarde einer neuen, internationalen Friedensbewegung dabei sein wollte.

Ist es nicht naiv zu glauben, die amerikanische Armee ließe sich von ein paar europäischen Zivilisten aufhalten?

Natürlich bewegt es die westliche Öffentlichkeit, wenn in Bagdad Europäer sterben. In dem erwähnten Kommunikationszentrum arbeiten rund 200 Iraker. Wenn von denen einer umkommt, wird das im Westen leider kaum jemanden interessieren. Aber jeder tote Europäer wird eine Meldung wert sein.

Die Öffentlichkeit ist das eine. Die amerikanischen Bomben etwas anderes. Vor denen sind Iraker und Europäer gleich. Haben Sie keine Angst?

Doch. Aber ich werde trotzdem wieder nach Bagdad fahren. Obwohl ich nicht sicher bin, inwieweit die amerikanische Armee auf solche wie mich Rücksicht nehmen wird.

Der Irak ist eine Diktatur. Wie verhindern Sie denn, dass Saddam Hussein Ihre Mission politisch vereinnahmt?

Wir wurden mit unseren Statements gegen den Krieg häufig im irakischen Fernsehen und in den Zeitungen zitiert. In dieser Hinsicht konvergieren unsere Interessen mit denen der irakischen Behörden.

So machen Sie doch aber PR für das Regime Saddam Husseins?

Nein. Innenpolitisch gibt es unsererseits eine klare Option für die linke Opposition im Irak. Das konnten wir in Interviews auch offen vertreten. Außerdem wissen wir, dass es innerhalb des baathistischen Staatsapparates und in den Ministerien, etwa im Gesundheitsministerium, Leute gibt, die unglaublich viel Leid von der Bevölkerung nehmen.

Arbeiten die unterschiedlichen Schutzschildmissionen zusammen?

Mal gut, mal schlecht. Es gibt hier Aktivisten, die legen eine kalte Professionalität an den Tag. Die kommen vor allem aus Australien, Amerika und Großbritannien. Politische Diskussionen, wie unsere Delegation sie führen wollte, interessieren die nicht.

INTERVIEW: MATTHIAS BRAUN