China bangt um seine Peking-Ente

Den Chinesen schlägt die Vogelgrippe auf den Appetit: Die Nachfrage nach Geflügel sinkt. Seit der Sars-Epidemie werden Viruskrankheiten nicht mehr auf die leichte Schulter genommen. Straßensperren sollen Menschen vor dem Erreger schützen

AUS PEKING GEORG BLUME

Peking ohne Peking-Ente, ohne seine in Teigfladen mit Lauch und Sojapaste eingewickelten Geflügelscheiben – ist das überhaupt vorstellbar? „Aber klar! Niemand würde mehr Ente essen, wenn auch nur eine Ente in der Stadt Grippe hat. Ich auch nicht“, meint die 13jährige Niu Xiao Tong, als sie gestern Mittag das bekannte Pekinger Entenrestaurant „Gut für die Gesundheit“ betritt. Doch ihre Mutter widerspricht: „Nur mit der Ruhe! Grippen kommen und gehen, aber die Pekinger werden immer Peking-Ente essen“, sagt Guan Jie, 43, Leiterin eines Luftfrachtunternehmens, während sie bereits die Bestellung aufgibt.

So streiten sich heute Jung und Alt über den Ausbruch des Vogelgrippevirus H5N1 in China. Seit am Dienstag die ersten Grippeopfer in südchinesischen Entenställen gemeldet wurden, beherrscht der Virus nicht so sehr als unmittelbar menschliche Bedrohung, aber als Leib-und-Magen-Thema die Gemüter. Gleichwohl hat die Krankheit in Südostasien schon zehn Menschen das Leben gekostet.

Den Chinesen aber schlägt der Virus vor allem auf den Appetit. Im Hühnerfleischgeschäft „Shazi“ in der Pekinger Gongtinan-Straße wartet Verkäufer Su Hairu nahezu vergeblich auf Käufer: „Nur sieben Hühner habe ich heute verkauft. Dabei achten wir sehr auf Hygiene“, klagt Su. Doch seit die Sars-Epidemie im letzten Jahr die Hauptstadt nahezu lahm legte, werden Viruskrankheiten in Peking nicht mehr auf die leichte Schulter genommen. „Hühner kaufe ich jetzt nur noch von Huadu“, räumt eine Kundin Sus ein. Tatsächlich zeigt die Neue Pekinger Zeitung gestern auf ihrer Titelseite ein Foto von Virentests bei Hühnern in einem Labor der Firma Huadu. Dazu die Überschrift: „Peking errichtet Straßenbarrieren gegen Viruskrankheit“ – gemeint sind neu verordnete Kontrollen von Geflügeltransporten in die Hauptstadt.

Das Aufschrecken von Medien und Verbrauchern aber ist als Alarmsignal für die Politik umso wichtiger, da durchaus offen ist, ob der H5N1-Virus seinen Ursprung nicht doch in China hat. Das hat jedenfalls die englische Zeitschrift New Scientist behauptet, und die Dementis, welche die chinesische Regierung dem jetzt folgen lässt, sind durchaus zweideutig. „Es ist eine reine Vermutung, eine bodenlose Vermutung“, sagt Vizelandwirtschaftsminister Qi Jingfa. Erstaunlicherweise aber wird die Studie des New Scientist in der parteieigenen Volkszeitung nun ausführlich zitiert. Das mag darauf hindeuten, dass hier von gut informierter Seite eine bisherige Verschleierung des Grippeausbruchs in China nicht ausgeschlossen wird. Allerdings lässt sich ein politischer Skandal wie nach der Sars-Verheimlichung vor einem Jahr wohl ausschließen. Dafür ist das Thema heute vor, und nicht erst nach dem ersten chinesischen Todesfall in aller Munde. „Mit Sars-Erfolg gegen die Vogelgrippe“, verspricht denn auch die neu ausgegebene Parole des Pekinger Gesundheitsamts.

Doch lassen sich die Konsequenzen des Virusausbruchs in China bislang kaum absehen. Die Vogelgrippe ist in China weiter verbreitet als bisher bekannt. In drei Provinzen im Süden und in Zentralchina ist bereits Geflügel erkrankt. Zusätzlich wurden gestern weitere Verdachtsfälle gemeldet. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) rief China zu raschen Gegenmaßnahmen auf. Der ohnehin „nur noch kleine Spielraum“, einen großen Ausbruch der Viruskrankheit in China zu verhindern, schrumpfe immer schneller, warnte WHO-Sprecher Roy Wadia in Peking. „China muss jetzt schnell handeln.“ Die Behörde rief Staaten in aller Welt dazu auf, ausreichende Vorräte an Grippemedikamenten bereitzuhalten. Dies sei notwendig, da im Falle einer Epidemie beim Menschen zunächst vermutlich kein Impfstoff zur Verfügung stehen werde.

In Vietnam, wo die Vogelgrippe bisher am schlimmsten wütete, kommen auf einen Menschen vier Hühner. Demnach droht in China nun 5 Milliarden Stück Federvieh der Virustod. Einmal abgesehen von der Gefahr für die Menschen, die weiterhin am schwersten wiegt, könnte die Grippe in der Volksrepublik ein Tiersterben ungekannten Ausmaßes auslösen. Mitleid aber dürfen Hühner und normale Enten nicht erwarten. Wirklich vermissen würde man in der Hauptstadt wohl nur die Peking-Ente.