Warten auf welsche Weisheit

Wann kommen endlich die französischen Philosophen zu ihrem Kriegseinsatz?

Schon jetzt ist absehbar, dass sich die französischen Meisterdenker zu Wort melden werden

Solitude, récif, étoile / A n’importe ce qui valut / Le blanc souci de notre toile. Riff, Einsamkeit, der Sterne Regel / und alles, was uns wert sein muss / das Weiß, die Sorge unserer Segel (Mallarmé, Salut)

Nichts gegen die Franzosen, auch wenn Chirac und de Villepin in den vergangenen Wochen den Eindruck machten, ihren antiamerikanischen Kurs letztlich zu einem guten Teil aus französischem Nationalstolz und aus der Berechnung wohlerwogener Eigeninteressen heraus eingeschlagen zu haben, und nicht so sehr deshalb, weil sie um die Autorität der UNO und des Völkerrechts besorgt gewesen wären. Zudem haben sie sich ja auch stets die gegenteiligen Optionen offen gelassen, wie auch jetzt aktuell wieder mit der Ankündigung, sich doch am Krieg beteiligen zu wollen, falls der Irak Chemiewaffen einsetzen sollte. Das bestätigt nur das deutsche Klischee vom gewieften und lebensklugen Franzosen, der es mit nichts so richtig ernst meint: „Und welschen Dunst mit welschem Tand / sie pflanzen uns in deutsches Land. Was deutsch und echt, wüsst’ keiner mehr.“ (Wagner, Meistersinger)

Andererseits könnte man Entsprechendes selbstverständlich auch von Schröder und Fischer sagen, und sowieso sollte man in der Politik den ganzen heillosen Unfug mit dem Nationalen tunlichst besser außen vor lassen: „… lebt’s nicht in deutscher Meister Ehr“. Wobei man schon darauf hoffen sollte, dass Borussia Dortmund die Bayern, die nun wirklich mal eins auf die Mütze kriegen sollten, irgendwie doch noch einholt. Und überdies: Wer hätte nicht schon davon geträumt, einmal wie in „Casablanca“ dem bescheuerten, zackig die „Wacht am Rhein“ grölenden Nazipack ins Wort zu fallen und wie Viktor Lászlo die „Marseillaise“ anzustimmen, worauf das ganze Lokal mitsingt und den finsteren deutschen Herrenmenschen zeigt, wo der Hammer hängt.

Also: Nichts gegen die Franzosen, aber dennoch ist schon jetzt absehbar und kann es einen jetzt bereits nerven, dass sich, worauf man wetten kann, bestimmt auch wieder die französischen Meisterdenker Jean Baudrillard und, vor allem, allen voran Paul Virilio mit ihren glashart schneidigen Analysen des Kriegs zu Wort melden werden, die selbstverständlich alles noch viel klarer und hintergründiger und genauer erkennen als der normale Zeitungsleser und Fernsehgucker, und einen das mit einer – eben doch irgendwie typisch französischen Arroganz – auch permanent zu verstehen geben in ihrem hyperkomplexen, coolen Wortgeklingel.

Beim letzten Golfkrieg hatte der Simulationstheoretiker Baudrillard bekanntlich die verblüffende Behauptung aufgestellt, dieser habe „nicht stattgefunden“ und sei eine bloße Medieninszenierung gewesen; und Virilio wurde nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die von CNN „in Echtzeit“ übertragenen Fernsehbilder der Hauptakteur des Kriegs gewesen seien.

Heute wissen wir es besser. Es war ganz einfach, wie man es sich auch damals schon mit etwas gesundem Menschenverstand hätte erklären können: Die Bilder bei CNN waren tatsächlich, sei’s auf Druck des Militärs hin, sei’s in vorauseilendem Gehorsam, inszeniert mit dem Ziel, eine präzise, wie ein Videospiel elektronisch gesteuerte Kriegführung zu suggerieren, bei der es kaum zivile Opfer gebe; in Wirklichkeit war dem aber nicht so: Es gab sogar ganz schön viele zivile Opfer, und von den 90.000 Tonnen Bomben, die die Amerikaner insgesamt abgeworfen hatten, trafen 60.000 – also zwei Drittel – andere Ziele als beabsichtigt.

Das hätte man damals freilich auch schon ahnen können: „Je einfacher denken, iss oft eine jute Jabe Jottes“ (Adenauer).

HENDRIK SCHNEIDER