: Der Liebeskummer in den Zeiten des Krieges
Gestohlene Bilder, gestohlene Zeit: Die Austellung „DisORIENTation“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt präsentiert junge arabische Künstler aus Ägypten, Syrien, Jordanien, Palästina und dem Libanon – und sucht bewusst nach Bildern jenseits der medialen Markierungen der Krisenregion
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Narziss war einst verliebt in sein Spiegelbild im Wasser. Die Frauen und Männer dagegen, die sich in einem Video von Moataz Nasr für einen kurzen Moment in einer Pfütze spiegeln, kommen gar nicht dazu, zu ihrem Bild eine Beziehung aufzubauen. Schuhe zertreten die Fläche und alles löst sich auf in Schaum im schwarzweißen Bild. Ihr Bild wird ihnen gestohlen. Man möchte es wieder und wieder sehen: Wie der zitternde Wasserspiegel sich langsam beruhigt, ein Gesicht erscheint und im Moment des Erkennens zerspringt.
Auch in einer zweiten Installation des Künstlers aus Kairo im Berliner Haus der Kulturen der Welt geht es um eine Spiegelung, doch diesmal ist die Geschichte zwischen die Bilder eingedrungen. „The Echo“ basiert auf einem Klassiker des ägyptischen Films von Yussef Chahine: Damals, 1969, wollte der Regisseur aus der Geschichte der Revolution von 1952 ein Bild der Ermutigung gewinnen. Nasr hat daraus eine Szene der Agitation gewählt, eine flammende Rede eines alten Mannes, sich nicht in die Opferrolle zu fügen. Nasr hat die Szene, die in Ägypten fast jeder kennt, noch einmal verfilmt, und diesmal ist eine junge Frau die Rednerin: „We are living in words … nothing but words! Words! Words!“ endet ihr Appell, abprallend an der Mauer ihrer schweigenden Zuhörer. Die Wiederholung, das Echo in der Zeit, legt ein zyklisches Modell von Geschichten nahe, in dem der Handlungsraum des Subjekts immer nur Illusion ist. Die Suche nach Vorbildern in der Geschichte erweist sich als Falle.
Die Ausstellung „DisORIENTation“ ist Teil eines gleichnamigen Festivals mit Konzerten, Film, Theater und Symposien. Die Künstler kommen aus Syrien, Jordanien, Libanon, Ägypten und Palästina. Das Projekt begann vor zwei Jahren: Die Krise jetzt bestätigt die Wahrnehmungsformen, die die Künstler schon länger bearbeiten, wie der Projektleiter Johannes Odenthal sagt. „Politics is everywhere“, bestätigt Jack Persekian, Kurator der Ausstellung, der bewusst nach Bildern jenseits der medialen Markierung des Krisengebiets suchte. Und wie so oft, wenn das Berliner Haus der Kulturen der Welt die Kultur einer Region vorstellt, wird erst einmal vorgewarnt: bloß nicht nach nationalen Klischees suchen, nur nicht die Künstler als Repräsentanten ihrer staatlichen Herkunft missbrauchen, um Himmels willen nicht den Kontext übersehen. Wenig Infrastrukturen für zeitgenössische Kunst, schwer kalkulierbare Formen von Öffentlichkeit, unterschiedlich von Land zu Land, Reisebeschränkungen, Zensur. Die Kunst scheint umstellt von Ungewissheiten.
Aber „DisORIENTation“ hat diese Vorsicht eigentlich nicht nötig. Entstanden ist eine schöne Ausstellung mit Fotografien und Videos, die ihren Kontext teilweise miterzählen. Fast alle Videoinstallationen zeichnen sich durch ihr Gespür für Zeit aus. Diese Kunst ist nicht kompliziert, aber präzise. Sie ist zeitgenössisch, urban und bedarf in keinem Moment des Schutzes einer Sichtweise, der Vergleiche mit anderen Diskursen ausschließt.
„DisORIENTation“, der Titel will eine Gegenbewegung zur viel beklagten Orientalisierung andeuten – jener kolonialen Perspektive, in der Geschichte, Ethnologie und Soziologie zu Stereotypen verschmelzen. „DisORIENTation“ lässt die Frage nach dem Ort oft offen – die Herkunft soll eben nicht schon erklären, was zu sehen ist. Für das Festival wirbt auf Plakaten ein Motiv von Jumana Emil Abboud mit intimen Bildausschnitten. Hände vor schwarzem Hintergrund, die Fingerkuppen voller Stecknadeln, teils in der Haut, teils hinter die Nägel geklemmt. Man weiß nicht, ist das ein Spiel, oder tut es weh? Gerade deshalb habe er, so Kurator Jack Persekian, das Motiv gewählt. Auch die Emotionen sind hier desorientiert.
Das Ornament und das Mosaik sind zwei Chiffren arabischer Kultur, die man zugleich mit dem Widerstand der Tradition gegen Veränderung verbindet. Im Projekt „Fondation Arabe pour l’Image“ von Walid Raad/Akram Zaatari tauchen sie in neuer Besetzung auf. Ein Mosaik entsteht aus hunderten von alten Porträtfotos, historische Gruppenfotos von Militärs aus Ägypten und dem Irak bilden ebenso ein Ornament wie die aneinander gereihten Bilder junger Männer am Strand aus den Fünfzigerjahren. Raad und Zaatari gehören zu einer Gruppe, die in Beirut zum ersten Mal ein Archiv für Gebrauchsfotografie aufbaut. In ihm werden die ästhetischen und sozialen Muster lesbar, die Rollen bis in die privaten Posen hinein prägen.
Der Fotokünstler Akram Zaatari taucht in der Ausstellung ein zweites Mal auf, diesmal als einer der Zeugen, die Lamia Joreige nach der Zeit des Libanonkrieges befragt und um ein Objekt, das sie daran erinnert, gebeten hat. Zu diesem Krieg gibt es bisher keine Dokumentarfilme. In „Objects of war“ liegen ein alter Koffer, eine Miss-Piggy-Tasche, ein Kanister und eine Taschenlampe neben kleinen Statements. Von Zaatari stammt das Zitat: „Mich erinnert der Krieg an viele Dinge. Aber das eindringlichste Bild, das mir einfällt, ist das meiner Langeweile. Ich langweilte mich schrecklich. Ich tat überhaupt nichts. Dieses Band versetzt mich zurück in die Kriegstage, weil ich oft meine Zeit damit verbrachte, Radiosendungen aufzunehmen.“ Die Langeweile, die gestohlene Zeit, das Leben, das nicht gelebt werden kann, verbinden die Erinnerungen.
Es ist hell in der Ausstellungshalle, und zuerst sind nur weiße Wände zu sehen. Erst in den Innenräumen beginnen die Geschichten. Dies ist der Ort der Familie.
In einer schwarzen Rotunde erscheinen auf fünf Monitoren die Gesichter von Frauen verschiedener Generationen, und jede erzählt die gleiche kurze Geschichte in dieser Arbeit von Jananne Al-Ani: „I love a man who broke my heart“. Er war ihr Held, er hat seine Versprechen nicht gehalten, es ist möglicherweise der Vater, von dem auch die Rede ist. Das erfährt man nicht eindeutig. Aber das Zerbrechen verlässlicher Beziehungen, der Verlust von Loyalität in der Familie, setzt sich fort von Mund zu Mund in dieser schönen und traurigen Performance.
Es sind nicht nur überraschend viele Künstlerinnen an „DisORIENTation“ beteiligt, und auch die Lust am Spiel mit Bildern der Weiblichkeit taucht mehrfach auf. Am ausgelassensten im Labyrinth von Lara Baladi aus Kairo, die mit langbeinigen Hybriden aus Mangas und Videospielen zu einer geheimnisvollen Initiation einlädt.
Im Katalog ist ein Teil des Reisetagebuches von Jack Persekian abgedruckt, beindruckend schon in der Schilderung der Schwierigkeiten der Grenzübertritte. Nichts macht deutlicher, dass die Einheit des kulturellen Raums, aus dem die Künstler kommen, eine Fiktion aus der Ferne ist. Viele der Künstler begegnen sich in Berlin das erste Mal.
In Amman besuchte Persekian Ali Jabri. Von ihm stammt die Installation am Eingang: An den Säulen hängen lange Fotofahnen, Bilder gigantischer Strommasten vor einer bergigen Kulisse. Jabri hatte sie längs einer Autobahn zum Roten Meer fotografiert, die eine alte Landschaft zerstörte. In einer E-Mail erzählte er von den Problemen der Genehmigung, technische Infrastruktur zu fotografieren, als ob da gleich Spionage und Verschwörung lauerten. Kurze Zeit später wurde Jabri ermordet, die Gründe sind unbekannt. Was man sieht in seiner Installation, die Monumentalität der Landschaft und der sie niederdrückenden Technik, ist schon beeindruckend. Aber was man sieht, ist dennoch längst noch nicht alles. Das erfährt man in „DisORIENTation“ immer wieder.
„DisORIENTation“, Haus der Kulturen der Welt, Berlin, bis zum 11. Mai
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