Im zweiten Stock ist alles friedlich

Erhöhte Terrorgefahr? Verstärkte Sicherheitsvorkehrungen? Ausgerechnet die Botschaft Afghanistans ist schutzlos

BERLIN taz ■ Gestern früh ist in der Nähe der amerikanischen Botschaft in Berlin ein Sack mit Zement gesprengt worden. „Wir müssen alle Vorsichtsmaßnahmen ergreifen, deshalb werden verdächtige Gegenstände von unseren Spezialisten zerstört“, sagte später ein Polizeisprecher. Zurzeit wird in Berlin lieber ein Zementsack zu viel gesprengt.

Mit Beginn des US-Angriffs auf Irak wurden die Sicherheitsvorkehrungen im Umkreis von Regierungsgebäuden und Botschaften noch einmal erhöht. So ist seit Donnerstag etwa die Wilhelmstraße hinter dem Hotel Adlon komplett gesperrt – um den Zugang zur angrenzenden britischen Botschaft zu sichern. Doch nur hundert Meter weiter bietet die Wilhelmstraße ein vollkommen anderes Bild.

Donnerstag, 20. März, 9.30 Uhr: „Botschaft der Islamischen Republik Afghanistan“ verkündet das Messingschild an einem unauffälligen Bürobau aus DDR-Zeiten. Davor stehen keine Absperrgitter, kein Wachhäuschen, nicht mal ein Schutzmann. Die Türe steht offen, denn die Botschaft in der dritten Etage teilt sich das Haus mit der Poststelle des Deutschen Bundestages und Büros der Parlamentsverwaltung. Der Publikumsverkehr ist rege, Ausweispapiere will niemand sehen. Wer einen Termin beim Botschaftsgesandten Abed Nadschib hat, gelangt problemlos durch die Sicherheitsschleuse, Taschenkontrolle ist nicht üblich. „Wir haben nichts zu befürchten“, sagt Nadschib. „Es kommen mehrmals täglich Beamte vorbei, die nach dem Rechten schauen, wir brauchen keine Wachposten vor der Tür.“

Die Sorglosigkeit ist bemerkenswert, immerhin repräsentiert Nadschib die Regierung von Hamid Karsai. Sie kam durch den US-geführten Anti-Terror-Krieg an die Macht, zu ihren mächtigsten Feinden gehören immerhin Ussama Bin Laden und die Reste des Taliban-Regimes. Trotzdem werden zwei Stockwerke unter Nadschibs Schreibtisch täglich große Pakete in die Bundestagspoststelle gebracht. Lieferanten und Handwerker gehen ein und aus. In der vierten Etage werden Reisen im Bundestagreisebüro gebucht und im Hinterhof parken große Lieferwagen. „Nö, mir ist überhaupt nicht mulmig“, meint eine Angestellte, „wir arbeiten ja im zweiten Stock.“

Auch Hans Hotter vom Deutschen Bundestag sieht keine Gefährdung für seine Mitarbeiter in dem Gebäude. „Die Sicherheitsvorkehrungen wurden intensiviert, mehr kann ich dazu nicht sagen.“ Für die Sicherheit innerhalb einer Botschaft sind private Sicherheitsdienste zuständig. Für die Sicherheit vor der Haustür ist das Gastgeberland verantwortlich. „Nur weil vor dem Gebäude keine Sicherheitskräfte stehen, heißt das noch lange nicht, dass das Gebäude nicht geschützt wird“, verteidigt sich ein Polizeisprecher – und reagiert verwundert, dass plötzlich jemand Interesse an der afghanischen Botschaft zeigt. „Zurzeit fragen alle nach der amerikanischen Botschaft.“

Der Polizeisprecher versichert: „Die Sicherheitslage wird ständig kontrolliert und neu eingeschätzt. Auf dieser Grundlage werden alle notwendigen Vorkehrungen getroffen.“ Die Sicherheitsstufe von Botschaftsgebäuden beruht auf Gefährdungsanalysen, die verschiedene Stellen regelmäßig auswerten. In Absprache mit der Botschaft werden anschließend die Sicherheitsmaßnahmen festgelegt. „In der Regel legen die Botschaften den Außenschutz vertrauensvoll in unsere Hände“, sagt der Polizeisprecher. Wenig später an diesem Vormittag schleppen zwei Handwerker im Blaumann eine riesige Pappkiste durch den Haupteingang in den Fahrstuhl des Gebäudes. Kontrolliert wird die Kiste nicht.

Alexander Wolf von der Diplomaten-Zeitschrift Das Corps erklärt, weshalb die Sicherheitsvorkehrungen so lax erscheinen. „Für Botschaften ist ein Krieg nur schlechtes Wetter, das vorüberzieht. Die Mitarbeiter wissen, wie man mit Krisensituationen umgeht.“ Abed Nadschib hält Absperrgitter und Polizisten vor der Haustür auch in Zukunft nicht für notwendig: „Wir wollen die Natürlichkeit unseres Landes zeigen“, sagt der Gesandte. „Afghanistan ist gastfreundlich, wir wollen ein offenes Haus sein und die Leute nicht verschrecken.“

PHILIPP DUDEK