Kein abgenutztes Plastik

Mal etwas zu viel Eins-zu-Eins, mal geiles Konzert mit Texten: Am Donnerstag erlebte Jörg Karrenbauers „Andy Warhol‘s Velvet Underground“ im Malersaal seine Uraufführung

von NIKOLA DURIC

Der Malersaal ist in weißes Plastik geschlagen, auf dem Boden liegt eine Spirale aus Schamhaaren, an der Brandmauer ist die schwarz gekleidete Band des Schauspielhauses postiert, und drei Videoprojektoren werfen psychedelische Muster auf die Wände. Die Schauspieler Edith Adam, Sarah Masuch, Thomas Kügel und Bjarne Mädel lümmeln auf einem weißen Sofa und erzählen in Andy Warhols Worten über die Zeit und die künstlerische Praxis des Pop-Artisten. Dabei wechseln sie in ihren Rollen von Bianca Jagger, Eddie Sedgwick, John Cale und Warhol zu den Figuren Nico oder Paul Morrissey.

Andy Warhol eignet sich hervorragend als Thema und Ideengeber für Filme oder Theaterstücke. Warhol war es ein Bedürfnis, sich völlig leer zu machen, um Eindrücke und Ideen fast widerstandslos in seine Arbeiten einzubauen. Diese Leere in der Kunstfigur Warhol macht ihn auch so attraktiv für Fremdinterpretation und Missverständnisse. Warhol erklärte einmal, er habe kein Gedächtnis, auch erinnere er sich an nichts, was gestern war.

Jede Minute war für Andy Warhol die erste Minute seines Lebens. Er war mit Aufnahmegeräten verheiratet, die alle seine Gedanken und Eindrücke speicherten. Er selbst nannte sein Hirn einen Taperecorder mit nur einem Knopf: der Löschtaste. Wenn Warhol aufwachte, war das erste, was er tat, Freunde anzurufen: Sie sollten ihm von Partys berichten, auf denen er nicht war oder an die er sich nicht erinnerte. Jedenfalls hatte seine Lebensweise zur Folge, dass sowohl seine Arbeitsmethode als auch seine Privatsphäre fast vollständig dokumentiert sind.

Zu der Band Velvet Underground kam Andy Warhol über eine Anfrage des Broadway-Produzenten Michael Mayerberg. Der wollte eine Großraumdisco in Queens eröffnen, und damit der Laden voll würde, bat er Warhol für ein wenig Geld, dort täglich mit seiner Clique abzuhängen. Warhol spielte schon länger mit dem Gedanken, eine Band zu managen, also schlug er Mayerberg vor, in seinem Club eine eigene Band zu präsentieren. Diese entdeckte er kurze Zeit später in den Velvets und organisierte in einem Avantgarde-Kino ein multimediales Konzert. Dieses legendäre erste gemeinsame Event hieß „Andy Warhol, Up-tight“. Und dieses Konzert bildet auch das Grundsetting und die Ausganssituation für Jörg Karrenbauers Musik-Stück Andy Warhol‘s Velvet Underground.

Einen Verweis über ihre Zeit hinaus machen die Jet-Set-Figuren Karrenbauers, wenn sie als Mitglieder der Factory bemerken, dass ihr künstlerisches Konzept der Entleerung, die Methode des verwunschenen Zeichen- und Inhalts-Zappings eigentlich die beste Voraussetzung biete, um ins Weiße Haus einzuziehen. Dann macht sie jemand darauf aufmerksam, dass genau dies schon geschehen ist: in der Zukunft.

Manchmal werden Warhols Texte über seinen Alltag etwas zu plump in eine Choreographie übersetzt, aber bei nur zehn Tagen Probezeit ist ein authentischer Rock‘n‘Roll-Mief genauso wenig herzustellen wie abgenutztes Plastik. Was den Abend aber über die Runden bringt, ist die hypnotische Sogwirkung der live gespielten Musik Velvet Undergrounds zusammen mit den psychedelischen Video-Mustern und den Schauspielern in ihren sexy Kostümen. Wenn in Karrenbauers Inszenierung die Hintergründe nach vorne treten, Silberkissen und Ballons durch den Raum schweben, so ist das sicher in Warhols Sinne. Und was ist gegen ein geiles Konzert mit Texten schon einzuwenden?

weitere Vorstellungen: heute + Do, 3.4., 20 Uhr, Mo, 7.4. (mit Einführung), 19.30 Uhr, Malersaal