Jeep zur afrikanischen Liebesblume

Bisher war Madeira ein Ferienziel vor allem für ältere Leute, die in ihrem Pauschalurlaub ein Gefühl von Exklusivität suchen. Mit sportlichen Aktivitäten soll nun auch ein jüngeres Publikum auf die portugiesische „Blumeninsel“ gelockt werden

Anonas und Pempinella sind nicht jedermanns Geschmack

von ANNETTE JENSEN

Im Betonboden klafft ein amöbenförmiges Loch. „Dies ist der Swimmingpool, dort hinten der Wellnessbereich.“ Antonio Trinidades Stimme kommt kaum an gegen das Dröhnen des Baggers. „Alle Gäste aus den anderen Hotels der PortoBay-Gruppe werden die Faszilitäten hier im Haus genießen können und umgekehrt“, ruft der der joviale Herr im grauen Anzug mit dem Aussehen Rudi Carrells. Ein halbes Dutzend Pools – drinnen und draußen, eckig und rund, wärmer oder kälter – je nach Gusto. Stolz führt der Hoteldirektor seine Besucher durch den Rohbau zu einer potemkinschen Luxussuite: Marmorbad, 2,40 Meter breites Bett und Originalgrafik über der Sitzgruppe. Als er den Vorhang zurückzieht, stehen ein paar feixende Bauarbeiter vor dem halbfertigen Balkon mit Meeresblick – Männer aus Mosambik, die zum Arbeiten nach Madeira gekommen sind, und Bananenbauern aus der Nachbarschaft.

„Null Rucksacktourismus“, konstatiert Myriam Dreessen, Leiterin des örtlichen Thomas-Cook-Büros. Während der letzte Campingplatz auf der Insel gerade schließt, wird die Zahl der Betten in den kommenden zehn Jahren von etwa 25.000 auf 35.000 kräftig aufgestockt. Vor allem auf der eh schon dicht besiedelten Südseite der Insel entstehen weitere Unterkünfte für Pauschaltouristen. Um die zu füllen, sollen jüngere, aktive Leute angesprochen werden. War das Image von Madeira bisher vor allem geprägt von hochbetagten britischen Ladys, die sich zur Teezeremonie im berühmten Reid’s Palace treffen, soll die Insel nun mit sportlichen Outdoor-Aktivitäten assoziiert werden.

Ohne Zweifel hat der 500 Kilometer vor Afrika liegende Archipel in puncto Landschaft und Natur Außergewöhnliches zu bieten. Von der Küste bis zum 1.861 Meter hohen Pico Ruivo de Santana sind es gerade mal zehn Kilometer Luftlinie. Auf der zerklüfteten Insel mit ihren extrem steilen Klippen, schmalen Tälern und steil aufschießenden Hängen gibt es vier Vegetationsstufen. Ein Viertel der Pflanzen sind so genannte Endemiten – Arten, die nirgendwo sonst auf der Welt vorkommen. Dass Madeira als Blumeninsel bezeichnet wird, liegt allerdings vor allem an der üppigen Flora, die die Menschen seit der ersten Besiedlung 1419 aus allen Teilen der Welt mitgebracht haben: Riesige, über und über mit rosa Büten besetzte Baumwollbäume stehen neben Frangipani, aus denen noch heutzutage auf Hawaii duftende Kränze geflochten werden. In den Gärten blühen das ganze Jahr über Strelitzien, und im Frühjahr tauchen südafrikanische Jakarandabäume mehrere Straßenzüge der 120.000-Einwohner-Hauptstadt Funchal in blau. Im Wald wuchern Hortensienbüsche, blattlose Belladonnen und dicke Büsche der afrikanischen Liebesblume.

65 Prozent der Insel sind als Naturpark ausgewiesen. Unmotorisiert ist der allerdings für fast keinen Touristen zu erreichen. Und so gibt es eine Vielzahl von Angeboten für mehrstündige Abenteuer. Wer mag, kann eine Jeeptour durch steile Straßen und Waldwege buchen oder von einem der höchsten Berge per Mountainbike ins Tal rasen. Moto4 heißt ein Vehikel, das optisch und akustisch an einen Aufsitzrasenmäher erinnert und Geländetouren mit etwa 60 Stundenkilometern ermöglicht. Besonders geübte Fahrer balancieren gelegentlich auf zwei Rädern und lassen dabei den Schotter kräftig spritzen.

Wer bei seinem Besuch der Landschaft gern etwas mehr sehen möchte, kann zum Beispiel ganz traditionell wandern und hat dabei eine durchaus vielfältige Auswahl zwischen Gebirgstour und Spaziergang. Die Mehrheit der Wege führt entlang der so genannten Levadas – eines Systems von Bewässerungskanälen, das seit dem 15. Jahrhundert vor allem von Sklaven gebaut wurde und insgesamt 1.200 Kilometer messen soll. Ohne das Wasser aus dem regenreichen Norden wären im Süden der Insel weder jährlich vier Kartoffelernten noch der Wein- und Bananenanbau auf den winzigen Terrassenfeldern möglich – neben dem Tourismus die wichtigsten Einnahmequellen der portugiesischen Insel. Ein Gang entlang einer Levada bietet auch Einblick in die kleinen Gärten der Anwohner, in denen uns Mitteleuropäern völlig unbekannte Früchte und Gemüsesorten wachsen. Allerdings sind Anonas, Philodendronzapfen und Pempinella, die es auch in der fotogenen Markthalle im Zentrum Funchals zu kaufen gibt, nicht jedermanns Geschmack.

Canyoning ist eine neuere Art, in Madeiras Natur einzutauchen. Hugo Gomes führt seit etwa zwei Jahren zweimal wöchentlich Touristengruppen durch den Rio Frio, einen elf Grad kalten Bach. Eingehüllt in Neoprenanzüge, klettern, waten und schwimmen die Urlauber in Richtung Tal. An zwei Stellen müssen sie sich abseilen, um Wasserfälle zu überwinden; einer davon ist immerhin 24 Meter tief.

Die meisten Orte auf der Insel sind mittlerweile bequem zu erreichen – mit Hilfe von EU-Regionalisierungsmitteln ist eine Unzahl von Tunneln, Brücken und Parkplätzen entstanden. Die Zahl der Autos nimmt beständig zu, aber es existiert auch ein recht gut ausgebautes Busnetz. Geplant sind einige neue Jachthäfen, und an mehreren Stellen sollen weitere Promenaden an der schroffen Küste entlang gebaut werden. „Vieles ist völlig überdimensioniert“, urteilt der Hamburger Anwalt Dirk Kempen, der seit 1970 immer wieder hierher kommt und die Veränderung der Insel beobachtet hat. Als Beispiel nennt er den Flughafen auf der ebenfalls zu Madeira gehörenden Insel Porto Santo, wo 1.000 Menschen pro Stunde abgefertigt werden könnten – doch selbst in der Hochsaison kommen nur 300 am Tag. „Wozu das alles?“, fragt Gil Canha von der Umweltgruppe Cosmos und gibt die Antwort gleich selbst: „Wir haben hier eine sehr mächtige Bauwirtschaft, mit der die Politik völlig verfilzt ist.“ Immer wieder würden illegale Häuser errichtet, die die Landschaft verschandeln und manchmal sogar mitten in den Naturpark geklotzt werden. Verschiedentlich ist seine Organisation schon gerichtlich gegen einzelne Vorhaben vorgegangen. Doch außerhalb der großen Gemeinden existieren nicht einmal Bebauungspläne auf Madeira, das seit über 25 Jahren von einer Partei regiert wird, die sich sozialdemokratisch nennt.

„Es schmerzt, wenn man immer weniger Stellen findet, an denen man einen unverstellten Blick auf die Küste hat, und die Landschaft immer weiter verkünstelt“, sagt auch der Biologe Helder Spinola, der sich bei der portugiesischen Umweltschutzorganisation Quercus engagiert. Erst vor kurzem hat ein Kollege in einer Höhle bislang völlig unbekannte Insektenarten entdeckt. Doch einen Schutz für die Stelle, die gelegentlich für Barbecue-Abende genutzt wird, gibt es nicht. Dabei sei die Natur das Wertvollste, was Madeira habe – auch im Blick auf den Fremdenverkehr, von dem 60 Prozent der Bevölkerung in der einen oder anderen Weise leben.

Go-Cart-Bahnen, Golfplätze, neue Hotels und Straßen fressen sich in die Landschaft. Die Müllmenge hat sich in den vergangenen zehn Jahren verdoppelt, und der durchschnittliche Wasserverbrauch jedes Urlaubers wird aufgrund der vielen Swimmingpools auf 600 Liter am Tag geschätzt. Doch eine Ökosteuer für Touristen, wie sie der Stadtrat von Funchal und frühere Chef des Naturparks, Costa Neves, in der Lokalzeitung Diário vorgeschlagen hatte, wurde vergangenen Sommer von der Regionalregierung abgeschmettert.

„Wenn das alles so weitergeht, wird die Insel in ein paar Jahren ihren Charme verloren haben“, warnt Canha. Ohne Zweifel würde das auch negative Auswirkungen auf den Tourismus haben. Viele der neuen Betten würden dann überflüssig. Und auch die Swimmingpools müssten wohl trockengelegt werden; die meisten Einheimischen könnten sich deren Besuch gar nicht leisten. Der Durchschnittsverdienst auf Madeira liegt noch immer bei mageren 400 bis 800 Euro, weswegen viele Leute auf einen Zweitjob angewiesen sind – nicht selten in der Bauindustrie.

Die Blumeninsel“ Madeira veranstaltet jedes Jahr zur Osterzeit Festlichkeiten zu Ehren der Blumen. Der Höhepunkt des Blumenfests wird am 3. und 4. Mai 2003 in Funchal groß gefeiert: Vom prachtvollen Blumenkorso bis zur „Mauer der Hoffnung“, die von Kindern auf dem Platz Largo do Colegio aus einem Meer von Blüten aller Farben und Formen errichtet wird. Im Ateneu, einem Einkaufszentrum in Funchal, findet gleichzeitig eine Blumenausstellung statt. Die ganze Stadt wird von dieser festlichen Atmosphäre durch zahlreiche Veranstaltungen, Konzerte und Aufführungen geprägt. Mit air marin reisen Urlauber im Mai beispielweise eine Woche nach Madeira in das Dreisternehotel Mimosa in Funchal ab 549 € pro Person bei Unterbringung im Studio inklusive Frühstück. Kinder zum Festpreis ab 299 €. Buchbar sind diese und viele weitere Angebote in Reisebüros mit air-marin-Agentur, unter der Hotline (0 18 05) 77 18 81 (12 Cent/Min.) oder online im Internet: www.airmarin.de