Leise Töne

Die unlösbare Frage nach Mitschuld stellt „Escape“, die für Schulen gedachte Produktion des Thalia Theaters

Der da rumbrüllt, mit einer schwarzen Strumpfmaske über dem Kopf, ist beängstigend, besonders hier zwischen 30 Achtklässlern hinter ihren Schultischen. Doch er ist nur ein Schauspieler. Zum Glück. Seine Pumpgun existiert nur in der Phantasie. Nach dem Stück Theater werden einige der Schüler gleichermaßen ihre Beklemmung in Worte zu fassen versuchen.

„Erfurt“ ist das Stichwort. Doch ist der Amoklauf des Schülers in Escape, der mobilen Produktion des Thalia Theaters, die jetzt im Gymnasium Klosterschule voraufgeführt wurde, nur eine Facette des zentralen Themas „Gewalt“. Im Brennpunkt steht Jan, der nach einer beklemmenden Aneinanderreihung von Mobbing, Rückzug und Abkapselung – schließlich lebt er nur in PC-Spielen die Waffe schließlich gegen sich selbst richtet, und zwar nur gegen sich selbst.

Asad Schwarz-Msesilamba spielt den Freund des Selbstmörders. Jahre später drängt es ihn, über Jan zu erzählen – mit Hilfe von wenigen Fotos, ein paar Takten harter Musik aus dem Ghettoblaster und ein paar Karteikarten als Gedächtnisstütze. Er möchte Antworten finden darauf, ob er den Selbstmord hätte erahnen können. Und konstatiert in seinem ruhigen, eindringlichen 40-Minuten-Monolog, dass nichts zu merken war.

Auch das ist im nachbereitenden Gespräch mit den Schülern ein wichtiges Thema. Schuldgefühle dürfe er auf keinen Fall haben, so der überwiegende Tenor. Es fällt auf, wie sehr die ca. 14-Jährigen des Ganztagsgymnasiums Klosterschule ab der ersten Sekunde von der Aufführung absorbiert sind, die sie wenige Tage vor der Premiere erleben.

Regisseurin Andrea Udl setzt auf leise Töne, hält den Spieler mit leichter Hand auf einem Grat zwischen freundlicher, fast kumpelhafter Nähe zu den Schülern und selbstzweiflerischer Verlorenheit. Der lautstarke Ausbruch einer Identifikation mit Jans Phantasien unter der Maske hallt besonders stark nach, da der Vortrag sonst auf Showeffekte verzichtet. Und wurden noch vor wenigen Jahren im Jugendtheater die Gewalttäter gerne selbst abgebildet – wie in Klassenfeind von Nigel Williams oder Gewalt im Spiel vom Theater Rote Grütze – betritt hier lediglich ein Zeuge die Bühne. Stellvertretend für uns fragt er nach Mitschuld. Der Täter also erscheint bereits nur noch in seiner Rezeption. Die Optik wendet sich weg von den gesellschaftlichen Ursachen, hin zur individuellen Bedingtheit und Verfassung. Und damit ist das Stück um den Amokschützen, dessen Tat wenig spektakulär ist, mit seiner mikrokosmologischen Betrachtung im Klassenzimmer genau richtig aufgehoben. Oliver Törner

Escape kann für eine oder zwei 7. bis 10. Klassen gebucht werden. Tel: 32814-139