Erinnerung als Kriegsschauplatz

Neue Geschwätzigkeit zum Thema Nationalsozialismus: Ulla Hahn liest am Dienstag im Literaturhaus aus ihrem Roman „Unscharfe Bilder“

Nicht mehr als die Rhetorik von Gedenktagsreden

von Jana Babendererde

So, wie der knapp 50-jährigen Frau in Ulla Hahns Roman Unscharfe Bilder dürfte es vielen gegangen sein, die in der Ausstellung „Verbrechen der Wehrmacht“ gewesen sind. Da steht man und sieht sich eins der vielen Fotos an, auf denen Wehrmachtsangehörige Zivilisten exekutieren, und plötzlich glaubt man, einen der Soldaten zu erkennen. Katja, die Tochter eines Lehrers und ehemaligen Wehrmachtssoldaten, meint ihren Vater erkannt zu haben auf einem der Bilder einer Ausstellung, die unschwer als die Wehrmachtsausstellung zu erkennen ist. Den Katalog schleppt sie ins luxuriöse Altenheim am Museumshafen, legt ihn dem Vater vor und möchte etwas über die Geschichte hinter dem Foto erfahren.

Ulla Hahns Roman Unscharfe Bilder zählt zu einer Reihe von literarischen Auseinandersetzungen der jüngsten Zeit mit der Art, wie Nationalsozialismus, Krieg und Judenvernichtung zwischen der Täter- und ihren Nachfolgegenerationen beschwiegen wurden, aber auch, wie und warum Gespräche darüber möglich waren. In Tanja Dückers Himmelskörper zum Beispiel geht eine Studentin den Verstrickungen ihrer Großmutter auf die Spur, Uwe Timm in Am Beispiel meines Bruders denen eines 18-Jährigen bei der Waffen-SS. Mit dem Thema NS beschäftigten sich auch Stephan Wackwitz, Birgit Bauer oder Sten Nadolny: Das auf die Larmoyanz der Väterliteratur der 80er Jahre folgende, fast 20 Jahre dauernde Schweigen in der Literatur hat inzwischen einer ziemlichen Sprechlust Platz gemacht.

Bei Ulla Hahn bedeutet das in erster Linie eine unsägliche Geschwätzigkeit des Vaters, was sein eigenes Leiden im Krieg angeht. Hahns Credo, in den Worten ihrer Heldin: „Wenn wir die Erben der Verstrickung unserer Väter und Mütter in die Nazijahre sein wollen, wenn wir ehrlich Verantwortung für diese Geschichte mit übernehmen wollen, dann müssen wir auch die Erben der Leiden, der Verletzungen werden, all der zerstörten Lebenspläne der Deutschen dieser Jahre, dachte Katja.“ Doch dieser Zusammenhang ist genauso wenig zwingend, wie der zwischen dem Ausstellungskatalog und dem Sprechen des Vaters, denn wirklich gefragt hat die Tochter ihren Vater nicht. Warum aber sollte der Katalog allein einen endlosen Erinnerungsfluss in Gang bringen? Damit bleibt ein wesentlicher Kern des Schweigens der Tätergeneration unberührt. Denn zu ihm gehörte immer auch eine Nachfolgegeneration, die bloß desinteressiert oder anklägerisch mit den Eltern umgegangen ist.

Und es gibt noch eine weitere Herausforderung des Themas, der sich Ulla Hahn nicht gestellt hat, das ist die der Sprache. Wenn die Tätergeneration redet, kann sie das nicht tun ohne die Sprache jener Zeit. Da wäre ein wenig Reflexion, zumal in einem Roman, schon angebracht. Stattdessen ist Unscharfe Bilder selbst von dieser Sprache affiziert. Erinnerung heißt hier „Gewaltmarsch“ durch ein „unendlich weit entferntes, vergessenes Gelände“. Wo nicht, folgt Unscharfe Bilder der Rhetorik von Gedenktagsreden: ein betuliches Buch.

Ulla Hahn: Unscharfe Bilder. München 2003, 276 S., 18,90 Euro Lesung: morgen, 20 Uhr, Literaturhaus