„Berlin ist eine Marke“

Marc Weiser

Wenn man irgendwo auf der Welt in einen der Plattenläden geht, die auf elektronische Musik spezialisiert sind – in Brasilien, Tschechien oder Russland –, ist da die Hälfte der Regalfläche mit Musik aus Deutschland vollgestelltMit Berlin identifiziert zu werden, erleichtert einiges. Man kommt etwa viel durch die Welt. Diese Möglichkeit zu reisen, war einer der Gründe, weshalb wir mit Rechenzentrum überhaupt angefangen haben, Musik zu machen

Es ist wie mit Hase und Igel: Wohin man geht, Marc Weiser war schon da. Er hat das Booking für den Veranstaltungsort I. M. Eimer gemacht, war Betreiber des Clubs Maria am Ostbahnhof und ist einer der Kuratoren des Clubs Transmediale. Als Musiker ist er Mitbegründer des renommierten Multimediaprojekts Rechenzentrum und Mitglied von Zeitkratzer, einem Ensemble für Neue Musik. Zudem betreibt er ein Soloprojekt, das er Marc Marcovic nennt. Zum Medienfestival Transmediale ein Gespräch über den Musiker als Manager, das Bild, das sich der Rest der Welt von der Berliner Szene elektronischer Experimentalmusiker macht – und über das Glück, als Laptopmusiker mit klassisch ausgebildeten Geigern zu arbeiten.

INTERVIEW TOBIAS RAPP

taz: Herr Weiser, werden Ihnen Ihre vielen Engagements eigentlich manchmal zu viel?

Marc Weiser: Ich bin in der glücklichen Position, all diese Dinge miteinander verbinden zu können. Als Künstler mache ich eine bestimmte Musik, und als Organisator der Transmediale kann ich andere Künstler, deren Musik ich gern mag, einladen. Viele von denen lerne ich im Club Transmediale dann kennen, treffe auch andere Festivalmacher, und daraus ergeben sich dann oft Einladungen zu anderen Festivals.

Kommt man da nicht regelmäßig durcheinander und vergisst, in welcher Funktion man gerade angesprochen wird, ob als Musiker oder als Festivalkurator?

Das passiert. Wir bekommen relativ viele CDs zugesteckt nach Rechenzentrum-Konzerten, und da bringe ich das tatsächlich manchmal durcheinander, ob die jetzt an mich als Teil von Rechenzentrum gehen oder an mich als Club-Transmediale-Organisator. Da kommt es auch zu Missverständnissen. Aber so ist das eben, wenn man viel macht. Man bietet eine große Oberfläche, man wird angreifbar. An so etwas muss man wachsen.

Der Musiker als sein eigener Manager: Ist das aus der Not geboren oder ein Modell für die Zukunft?

Es wird immer wichtiger für Musiker, sich mit dem Drumherum auseinander zu setzen. Mit der Verwertungskette, mit den Verträgen. Wir haben immer wieder versucht, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten und mussten feststellen, dass niemand besser für einen arbeitet als man selbst.

Was war bei Ihnen denn zuerst da, das Produzieren oder das Organisieren von Musik?

Das lässt sich nicht so eindeutig sagen. Wir haben 1997 mit Rechenzentrum angefangen und sind dann 1998 von der Transmediale angesprochen worden, ob wir nicht Interesse hätten, eine Lounge für das Festival zu organisieren. Von da an ist das organisch gewachsen. 1999 haben wir den ersten Club Transmediale gemacht, im alten Maria am Ostbahnhof, und dann ging das von Jahr zu Jahr so weiter. Es wurde immer größer. Wir haben nie wirklich Fördergelder bekommen, bis wir letztes Jahr angefangen haben, ein paar Anträge zu stellen. Die Gelder für Kultur werden ja immer weniger, was im Fall des Clubs Transmediale in merkwürdigem Kontrast zum wachsenden Renommee des Festivals steht. Für ganz viele Szenen ist das mittlerweile eine wichtige Plattform geworden. Ob aus der bildenden Kunst, aus der Werbung, ob das Musiker sind oder Journalisten. Vor allem auch auf einer internationalen Ebene. Hier kommen Leute her, um sich neue Dinge anzugucken. Ohne dass das jetzt eine offizielle Messe geworden wäre. So war das eigentlich nie geplant, das ist einfach so gekommen.

Ist Berlin in der Welt der experimentellen elektronischen Musik denn ein Begriff?

Das ist eine Marke, unter der das Verschiedenste zusammengeworfen wird. Die Berliner Musikszene ist ja extrem heterogen. Das passt eigentlich vorne und hinten nicht zusammen. Von außen sieht das aber so aus, als würde alles zusammengehören. Manchmal wird dann auch noch Musik aus Köln mit in den gleichen Topf geworfen. Das ist dann alles Musik aus Deutschland, die aber als Musik aus Berlin wahrgenommen wird. Wenn man irgendwo auf der Welt in einen der Plattenläden geht, die auf elektronische Musik spezialisiert sind, ist dort die Hälfte der Regalfläche mit Musik aus Deutschland vollgestellt – ob in Portugal, Tschechien, Russland oder Brasilien. Kommt man dann mit dem Plattenhändler ins Gespräch und sagt, den und den kenn ich und die wohnt bei mir um die Ecke, dann denken die, man macht sich über sie lustig.

Identifizieren Sie sich mit dieser Marke Berlin?

Ich finde das schwierig, aber ich habe mich damit abgefunden. Und es ermöglicht mir ja auch viele Dinge. Auf dem Berlinticket kommt man viel durch die Welt, man ist gern eingeladener Gast und diese Möglichkeit, zu reisen, war einer der Gründe, weshalb wir mit Rechenzentrum überhaupt angefangen haben, Musik zu machen. Man nimmt sich ja als Musiker was vor. Manche möchten viel Geld verdienen, manche möchten berühmt werden – wir haben uns immer gesagt: Wir möchten viel reisen, viel spielen und vor allem in vielen verschiedenen Szenen spielen.

Sie sind sogar in Sibirien aufgetreten. Wie wird denn Berliner Musik da wahrgenommen?

Das war vom Goethe-Institut organisiert und eine unserer interessantesten Reisen. Da fliegt man ein paar tausend Kilometer nach Moskau und dann noch dreimal so weit weiter nach Sibirien. Für die Leute dort sind ein Kommerz-DJ wie Tom Novy, Rechenzentrum und Scooter alles eins. Das ist alles Musik aus Deutschland. Die kennen allerdings trotzdem noch die abgelegensten Underground-Musiker. Ich hatte das Gefühl, Musik aus Deutschland funktioniert dort wie ein Hoffnungsträger. Das steht für eine Orientierung nach Westen. Es gibt ja dieses Klischee vom Wodka-trinkenden Russen. Die jungen Leute dort trinken ganz bewusst Bier, um sich davon abzusetzen. Wir haben da mehr Wodka getrunken als die.

„Further East“ ist einer der Schwerpunkte des Clubs Transmediale überschrieben. Nun ist diese Parole von Berlin als Drehscheibe in den Osten – abgesehen von der Einladungspolitik einiger Festivals – oft vor allem Gerede. Höchst selten werden DJs oder Musiker aus Osteuropa in Berlin gebucht. Wird Berlin von dort aus als Drehscheibe wahrgenommen?

Für osteuropäische Musikproduzenten ist Berlin das Tor zum Westen. Wobei man differenzieren muss: Polen zum Beispiel ist ein Sonderfall. Vor kurzem habe ich mich mit Leuten vom Krakauer Goethe-Institut unterhalten, und dort hat man das Gefühl, als sei Polen von Berlin aus vor allem die Gegend, über die man fliegen muss, um nach Moskau zu gelangen. Zwischen Berlin und Moskau gibt es ja einen regen Austausch.

Sind Sie oft in Osteuropa?

Häufig. Wir haben zum Beispiel gute Kontakte nach Belgrad, zum Belgradeyard Soundsystem, einem der größten Festivals für elektronische Musik dort. Da haben wir als Rechenzentrum mehrmals gespielt. Die sind wiederum eng vernetzt mit dem MaMa in Zagreb, das ist ein Institut für neue Medien. Da sind wir auf der Musik Biennale aufgetreten, dem ältesten Festival für Neue Musik im Ostblock. Das gibt es seit den Fünfzigern. Wenn ich dort unten bin, habe ich oft ein ähnliches Gefühl, wie in den frühen Neunzigern als ich aus dem Westen nach Ostberlin gezogen bin. Das ist sehr angenehm, sehr persönlich. Deswegen freue ich mich, dass wir mit dem Club Transmediale unsere Fördergelder an Künstler weitergeben können, die wir dort kennen gelernt haben. Leute, bei denen man sieht, dass das Früchte trägt. Da entwickelt sich etwas, und die Verbindungen werden immer besser. Nicht nur zwischen Ost und West. Auch im ehemaligen Jugoslawien selbst.

Sie spielen ja auch regelmäßig mit klassisch ausgebildeten Musikern. Wie werden Sie von denen wahrgenommen?

Ich habe ja auch Musikinstrumente gelernt, wenn auch nicht klassisch. Aber ich habe fast alles, was ich mal über Notationssysteme wusste, wieder vergessen. Wenn ich mit einem Ensemble wie Zeitkratzer spiele, sehe ich mich als letztes Glied in einer Kette. Von ganz unten addiere ich was dazu. Oft sagen die dann aber: Du fängst an. Da muss ich dann einen 11/8-Takt mit der Hand auf meinem Sampler spielen. Aber wenn sich diese klassisch ausgebildeten Musiker unterhalten, verstehe ich oft kein Wort. Das ist eine ganze eigene Sprache. Da stehe ich dann und denke, toll, was ihr könnt. Aber die sehen mich ganz genauso. Die sagen, toll was du kannst, du stellst dich einfach hin und spielst was. Denn die Musik, die ich mache, ist oft improvisiert oder instant composing. Das können die dann wiederum nicht.

Woher kommt dieses Interesse von Vertretern der Neuen Musik an jemandem wie Ihnen, der Musik mit dem Rechner macht?

Diese Szene dreht sich vor allem um sich selbst, es gibt keine neuen Einflüsse. Deshalb suchen viele Festivalleiter, aber auch viele Musiker die Kooperation mit nichtakademischen Musikern.

Die Szene, die sich der experimentellen elektronischen Musik widmet, ist auf eine interessante Art jenseits von fast allem: jenseits der großen Plattenfirmen, aber auch jenseits der großen Fördertöpfe, die die klassische E-Musik finanzieren. Am ehesten wird sie von den Leuten getragen, die diese Musik lieben. Ist das in Berlin besonders ausgeprägt? Berlin genießt einen besonderen Ruf, haben Sie gesagt. Zu Recht? Ist das Publikum für solche Musik hier größer als anderswo?

Ich weiß nicht, ob das Publikum hier tatsächlich viel größer ist als anderswo. Für die Attraktivität Berlins viel wichtiger ist, dass es nach wie vor relativ billig ist, hier zu leben. Deswegen ziehen viele Künstler her. Trotzdem ist die Szene recht überschaubar. Deshalb ist es einfach sich zu treffen und zu kooperieren. Aber es gibt schon ein Missverhältnis. Viele Künstler, die hier wohnen, verdienen einen Großteil ihres Einkommens mit Auftritten im Rest der Welt.

Viele Platten verkauft man in dieser Musik ja ohnehin nicht.

Der Tonträger ist eigentlich nur eine Werbemittel. Da verkauft man tausend oder zweitausend Platten. Aber eigentlich verdient man sein Geld mit Auftritten. Das funktioniert wie der Kunstmarkt mit seinen hoch dotierten Nischen.

Wie wichtig ist denn das Lokale in der elektronischen Musik überhaupt?

Es gibt keine lokale Identität, die man in dieser Musik finden könnte. Was es gibt, ist eine Metaebene, über die Künstler identifizierbar werden. Manchmal finde ich das auch schade. Als wir letztes Jahr auf der Suche nach neuen Künstlern waren, sind wir diesem Missverständnis auch aufgesessen. Wir haben nach kulturellen Eigenheiten gesucht. In Bulgarien, in Russland, in der Türkei – es muss doch eine Verankerung in lokalen Klängen geben, haben wir uns gedacht. Aber das ist so ein ganz komischer Kitschgedanke, von dem man sich da mitunter leiten lässt. Meistens wollen die Künstler ja genau davon weg.