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Dackel hat Schnauze voll

Eine mittelmäßige Leistung genügt dem Tabellenführer Werder Bremen, um Hertha BSC Berlin mitsamt dem neuen Trainer 4:0 abzumeyern. Der Hauptstadt-Verein ist jetzt Bundesliga-Schlusslicht

AUS BREMEN MARKUS JOX

Die Verehrung des Fußballspielers Ailton Gonçalves da Silva in Bremen nimmt zunehmend kultige Züge an. Am Samstag beim Rückrundenauftakt gegen Hertha BSC wurde der brasilianische Stürmer in Diensten des SV Werder in der 72. Minute von seinem Trainer Thomas Schaaf ausgewechselt. Und also standen 35.000 Zuschauer im Weserstadion von ihren Sitzen auf und verabschiedeten den „Kugelblitz“ mit Standing Ovations und Lobgesängen. Ailton ging gemessenen Schrittes vom Platz, zufrieden grinsend und aufreizend langsam, er kostete jede Sekunde aus. Ganz zu Recht.

Denn maßgeblich dank Ailton lag der Tabellenführer der Bundesliga bereits nach lächerlichen 35 Minuten mit 3:0 in Führung – und das, ohne dominant gespielt zu haben. Zwei Tore hatte der Brasilianer höchstselbst erzielt – ein sehr kurioses und ein sehr schönes. Zuerst das Kuriose: Ausgerechnet Ailtons brasilianischer Landsmann und Kumpel Marcelinho spielte in der 17. Minute aus dem Mittelfeld einen Rückpass zum eigenen Torhüter. Warum auch immer rechnete der Hertha-Spieler offenbar nicht damit, dass Ailton in der Nähe des gegnerischen Strafraums herumlungerte, weil er wieder einmal nicht mit zurückgeeilt war. Also schob Marcelinho – von dem man sich kurz zuvor noch auf der Pressetribüne zugeraunt hatte, er trage heute erstmals „seine blauen Wunderschuhe“ – den Ball geradewegs in den Lauf von Ailton, der, plötzlich höchst agil, den Ball annahm, weitertransportierte und trocken versenkte. Dann der Treffer für die Galerie: Nach einem wunderschönen Pass von Werder-Neuzugang Pekka Lagerblom traf Ailton auf ungewöhnliche Art und Weise – indem er den Ball nämlich mit dem linken Außenrist nicht etwa ins linke Eck zirkelte, sondern ihn hart, scharf und genau ins Netz drosch.

Dass Werder Bremen ansonsten eine recht durchschnittliche Leistung zum 4:0-Erfolg genügte, lag selbstredend am Gegner. Im Vergleich zu der 1:6-Pokalklatsche der Berliner im Dezember war – dem Trainerwechsel und einem auf diversen Positionen umgestellten Team zum Trotz – nicht wirklich eine Verbesserung zu erkennen. Mittlerweile rangiert Hertha auf dem letzten Tabellenplatz. Dem Hoffnungsträger Hans Meyer – ein ähnlich uneitler, trockener Typ wie Thomas Schaaf – schien die Enttäuschung dementsprechend ins Gesicht gefräst zu sein. Natürlich sei es schwierig, „bei einem souveränen Spitzenreiter Bremen zu spielen, der vor Selbstvertrauen nur so strotzt“, sagte Meyer. Und seine Trainingsarbeit der letzten Wochen, seit er den Job vom glücklosen Huub Stevens übernommen hat, habe sein Team ja auch brav umgesetzt – allerdings nur in den ersten 17 Minuten, eben vor dem „Selbsttor“, wie Meyer den Fauxpas von Marcelinho beständig nannte. „Was danach kam, war der letzte Herbst, und zwar in Reinkultur.“ Der Trainer sprach von einer „Blockade“ seiner Spieler, die sie nur durch „Leistung“ auflösen könnten. „Blockaden kannst du nicht mit Worten lösen, mit Sitzungen oder mit Spirituellem“, dozierte der Hertha-Coach. Und die Leistung stimmte am Samstag weder bei jungen Spielern wie Alexandar Mladenow oder Malik Fathi, denen Meyer eine Chance gab, noch bei einem erfahrenen Nationalspieler wie Arne Friedrich, der ratlos ächzte: „Wir sind zusammengefallen – es ist unerklärlich, warum.“

Stürmer Fredi Bobic, der von Meyer eigentlich ausgemustert worden war und den das völlig indisponiertes Mittelfeld verhungern ließ, wurde am Samstag vom Trainer eher gehätschelt: „Der hat im Rahmen seiner Möglichkeiten seine Sache gut gemacht“, sagte Meyer. Gleichwohl schoss Fredi Bobic die Galligkeit aus allen Poren: „Ich habe die Schnauze voll“, sagte er und griff voller Zorn und Ärger zu einer vor allem in Bobics schwäbischer Heimat gängigen Frustrationsmetapher aus dem Tierreich: „Ich sag jetzt nichts mehr, sonst bin am Ende wieder ich der Dackel.“

Bei Werder Bremen hingegen war eitel Sonnenschein angesagt: Vor allem Neuzugang Lagerblom, der für den verletzten Kapitän Frank Baumann ins Team gerückt war, passte sich dem Mannschaftsgefüge derart gut an, als würde er seit Monaten mit Micoud und Co. im Mittelfeld zaubern. Einmal mehr haben Schaaf und Sportdirektor Klaus Allofs mit der Verpflichtung des 21-jährigen Finnen vom FC Lahti offenbar ein goldenes Näschen bewiesen – was die Bremer auch nötig haben. Denn nach Ailton und Mladen Krstajic, die für die kommende Saison bereits bei Schalke 04 unterschrieben haben, könnten demnächst auch Mittelfeldspieler Krisztian Lisztes und Stürmer Igor Klasnic abhanden kommen – beide kokettieren mit Wechselabsichten und haben ihre Verträge bei Werder noch immer nicht verlängert.

Werder Bremen: Reinke - Davala, Ismael, Ernst, Stalteri (83. Magnin) - Lagerblom - Lisztes (76. Schulz), Borowski - Micoud - Klasnic, Ailton (71. Valdez)Hertha BSC: Fiedler - Madlung, Rehmer, Friedrich, Fathi - van Burik (38. Simunic), Goor, Karwan (70. Ludwig), Marcelinho, Mladenow (46. Dardei) - BobicZuschauer: 34.500; Tore: 1:0 Ailton (17.), 2:0 Ailton (30.), 3:0 Micoud (34.), 4:0 Valdez (90.)

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