Widerstand per Mausklick


„Wir beobachten die Geschehnisse und werden kurzfristig reagieren“

von KIRSTEN GRIESHABER

Wenn sich Eli Pariser in seinem winzigen New Yorker Büro um die eigene Achse dreht, stößt er fast jedesmal irgendwo an. Eli Pariser ist groß und schlaksig und wirkt, als hätte er mit seinen 22 Jahren noch nicht die Hoheit über den eigenen Körper errungen. Sein brauner Vollbart, der akkurate Haarschnitt und sein erwachsener Ton indes vermitteln professionelle Seriosität.

Eli Pariser ist das neue Gesicht der US-Friedensbewegung. Gleich ihrem Vorreiter ist auch die Friedensbewegung gerade erst den Kinderschuhen entwachsen – und hat zum Erstaunen des Establishments bewiesen, wie man mit ein paar klugen Köpfen und dem Internet die Massen gegen den Irakkrieg mobilisieren kann.

Wer hätte schon vermutet, dass Parisers unscheinbares Büro in der 57. Street in Manhattan zur Widerstandsszentrale gegen Präsident Bushs Kriegsfantasien avancieren würde. Täglich bis zu zwölf Stunden sitzt Pariser hier mit gekrümmtem Rücken über seinem Laptop und koordiniert Demonstrationen und Lichterketten rund um den Globus. Auf dem Schreibtisch stehen ordentlich nebeneinander drei Telefone; mehrere Bleistifte und ein Block Papier liegen griffbereit. Ein Schreibtischstuhl und das Wandregal mit selbst gebrannten CD-ROMs, Computerbüchern und dem Strategiespiel Risiko vervollständigen das Bild. Wer Spruchbänder, Che-Guevara-Poster und Haschpfeifchen erwartet hat, sucht vergeblich. Hier wird Widerstand erarbeitet, nicht erlebt.

Mit gesenktem Blick und wohlkalkulierter Bescheidenheit rattert Pariser die aktuellen Erfolgszahlen herunter. Um die 1,25 Millionen Mitglieder unterstützen Amerikas größte Antikriegsorganisation Moveon.org, und jeden Tag kommen hunderte von neuen Kriegsgegnern hinzu. Ein Mausklick mit der rechten Hand genügt, und schon weiß Pariser zu berichten, dass derzeit über die Hälfte aller online-registrierten Mitglieder im Ausland leben. Pariser, der einer von nur vier festangestellten Mitarbeitern bei Moveon.org ist, sieht den rasanten Erfolg seiner Organisation in der Genialität des Internets begründet. „Innerhalb von Stunden können wir Millionen von Menschen in der ganzen Welt mobilisieren. Bei unserer letzten großen Aktion, der globalen Lichterkette am 16. März, haben zehntausende von Neuseeland über New York bis nach Berlin Kerzen für den Frieden angezündet.“

Angesichts des überwältigenden Echos auf ein paar E-Mails, die er von seinem Laptop in Manhattan hinaus in die Welt geschickt hat, vergisst auch Pariser für einen Augenblick seine gewichtige neue Rolle als Friedenskoordinator von Amerika. Begeistert rutscht er auf seinem Stuhl hin und her und strahlt wie ein kleiner Junge, die blauen Augen sprühen vor Energie und Tatendrang. Es scheint, als könne er den eigenen Erfolg selbst noch nicht so ganz begreifen, „Das ist unglaublich, eine so tolle Reaktion hatten wir nicht erwartet.“

Angefangen hat alles vor einundeinhalb Jahren, einen Tag nach den Anschlägen vom 11. September. Pariser, der gerade seine Collegeausbildung abgeschlossen hatte und damals noch in der Nähe von Boston lebte, war besorgt über einen möglichen militärischen Rachefeldzug der US-Regierung. Er schickte seinen Freunden und Bekannten per E-Mail eine Friedenspetition mit der Bitte, diese an ihre zuständigen Kongressabgeordneten weiterzuleiten. Als er ein paar Tage später seine Mail checken wollte, crashte der Computer. Pariser hatte ein so überwältigendes Feedback auf seine Petition erhalten, dass seine Inbox aus allen Nähten platzte. Befügelt von dieser Solidarität, kreierte er die Homepage 9-11Peace.org, auf der sich über eine halbe Million Unterstützer registrierten und gegen die Anwendung von Gewalt in Afghanistan aussprachen.

Der Cyberverkehr auf Parisers Internetseite machte ein Aktivistenpaar aus Silicon Valley in Kalifornien neugierig. Wes Boyd und seine Frau Joan Blades hatten während des Internetbooms Millionen mit der Entwicklung von Software verdient. Mit diesem Vermögen gründeten sie 1998 die Organisation Moveon.org, um mit Lobbyarbeit das drohende Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident Clinton zu verhindern. Nach dem Motto „Gemeinsam sind wir stärker“ überredeten sie Eli Pariser, sich und seine Fähigkeiten in den Dienst von Moveon.org zu stellen.

Auch Pariser wirkt äußerlich eher wie ein Softwarespezialist. Der weinrote Pulli mit V-Ausschnitt passt zu den beigen Khakihosen, die Haare sind im Nacken brav gestutzt. Von Peacenikimage keine Spur. Dabei hat er die Ideale der US-Friedensbewegung quasi schon mit der Muttermilch aufgesogen. „Als ich zwei Jahre alt war, haben meine Eltern mich zur ersten Demo geschleppt“, erzählt er. Gegen was genau, weiß er nicht mehr.

Seine Eltern hatten sich schon gegen den Vietnamkrieg engagiert, aber mit der Radikalität der Studentenbewegung der Sechzigerjahre kann Pariser nichts anfangen. Provokation und Revoluzzertum scheinen Fremdwörter für ihn zu sein. Während die Demonstranten damals ihre Einziehungsbefehle verbrannten und sich Straßenschlachten mit der Polizei lieferten, redet Pariser über Patriotismus. „Ich liebe mein Land“, erklärt er und fügt sanft hinzu: „Es gefällt mir nicht, dass Menschen in anderen Ländern Amerika hassen, weil unsere Regierung falsche Entscheidungen trifft.“

Viel diplomatischer kann man die Kritik an den Bush-Kriegern sicherlich nicht formulieren. Und Pariser hat Erfolg mit seiner soften Opposition. In den letzten dreißig Jahren hat keine amerikanische Grassroots-Bewegung in so kurzer Zeit so viele Menschen mobilisieren können. Vielleicht ist es gerade die Abwesenheit von politischen Überzeugungen, die Moveon.org so populär macht. Die Botschaften in ihren E-Mails scheinen die Menschen anzusprechen. „War does more harm than good“, Krieg richtet mehr Unheil als Gutes an. Wer könnte da schon widersprechen?

Mit Parolen dieser Art scharen die Mitarbeiter von Moveon.org täglich mehr Kriegsgegner hinter sich, man trifft sich eben auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Bewusst hat Moveon.org sich dazu entschieden, ordinary people in die Bewegung zu integrieren: Menschen, die sich vor langer Zeit ins Private zurückgezogen haben oder nie geglaubt hätten, dass ihre Stimme da draußen Gehör finden würde; Menschen, die bislang unter dem Begriff „schweigende Mehrheit“ zusammengefasst wurden.

Über Mailinglisten rufen Pariser und seine Kollegen die Moveon.org-Mitglieder immer wieder dazu auf, ihren Protest aus dem Cyberspace in die reale Welt zu bringen. Und so ließen sich am 15. Februar – für manch einen kriegstreiberischen Politiker erschreckend unerwartet – Millionen von friedliebenden Menschen auf der ganzen Welt zu Großdemonstrationen gegen den Irakkrieg mobilisieren.

Revoluzzertum und Provokation scheinen für Eli Pariser Fremdwörter zu sein

Moveon.org war eine von vielen Initiativen, die bei der globalen Mobilisierung der Demonstranten aktiv mitgeholfen haben. Und als Eli Pariser am 15. Februar bei der Kundgebung in New York auf die Rednerbühne trat, konnte er den Demonstranten stolz berichten: „Jeder Einzelne von euch, der heute gekommen ist, steht für hundert weitere Demonstranten, die gern hier wären, es diesmal aber nicht geschafft haben. Ich weiß es, denn ich bekomme jeden Tag E-Mails von ihnen.“

Trotz dieser Erfolgsstory bleibt die Ideologie hinter der neuen Friedensbewegung in den USA seltsam konturlos. Nach seiner persönlichen Motivation befragt, reagiert Pariser unwirsch. „Trägt denn nicht jeder Verantwortung für seine Mitmenschen?“, entgegnet er gereizt. Pariser will sich politisch nicht festlegen lassen, knibbelt ungeduldig Fusseln von seinen Socken, klimpert gereizt mit ein paar Münzen in der Hosentasche und schielt immer wieder zu seinem Laptop hinüber. Viel lieber würde er jetzt seine neuen E-Mails beantworten, als sich mit solchen Fragen herumzuschlagen.

„War is evil“, sagt er noch einmal, Krieg ist schlecht. Besser wäre gewesen, die UN-Inspektoren hätten in Irak ihre Arbeit fortsetzen können. Konkret will er George W. Bush nicht kritisieren, immerhin lässt er sich zu der Bemerkung hinreißen, dass es ja nur noch etwas mehr als neunzehn Monate bis zu den nächsten Präsidentschaftswahlen seien. Moveon.org wolle sich daher neben der demokratischen Basisarbeit auch verstärkt aufs Fundraising konzentrieren und mit entsprechend platzierten Spenden Einfluss auf die Politik nehmen.

Als erste Reaktion auf das US-Bombardement des Irak hat Moveon.org alle Kriegsgegner aufgefordert, eine brennende Kerze ins Fenster zu stellen. Als Zeichen ihres Protestes gegen den Krieg können die Mitglieder außerdem eine Petition auf der Homepage unterzeichnen. Weitere Aktionen sollen folgen, doch genauer will Pariser sich dazu nicht äußern, „Wir beobachten die politischen Geschehnisse und werden kurzfristig reagieren.“

Es drängt sich der Eindruck auf, dass Parisers vage Antworten Konzept sind. Der Friedenskoordinator ist jung, ehrgeizig und vorsichtig. Wenn sich nicht nur die US-Friedensbewegung, sondern auch seine Karriere mit der Geschwindigkeit des Internets weiterentwickeln sollte, wird er schon bald von Interesse für die große Politik sein. Junge Talente wie Pariser werden immer gesucht. Da lehnt man sich besser nicht zu weit aus dem Fenster.