Mein letzter Freund – der Baum

In Bad Laasphe wird jetzt der erste Friedwald in NRW eingerichtet. Ein Kirchenfürst aus Würtemberg beklagt einen Rückfall in Naturreligion. Forstämter und die Friedwald GmbH freut die Partnerschaft zwischen Amt und Privatkapital. Frauen möchten unter Buchen liegen, Männer lieber unter Eichen.

Waldesstille statt Friedhofsruhe: In Friedwäldern lassen sich Verstorbene unter Buchen oder Eichen bestatten. Das Grab am Baum ist günstiger, pflegeleichter und lauschiger als herkömmliche Ruhestätten. Ein süddeutscher Bischof kämpft gegen den Siegeszug „neuheidnischer Naturvergötzung“ und „Discount-Bestattung“

VON LUDGER FITTKAU

Heute hat Förster Burghard Klose keine Urne im Kofferraum des grünen Forstfahrzeugs, als er auf den Parkplatz des Michelstädter “Friedwaldes“ einbiegt. Normalerweise bringt Klose die Urne mit, wenn er sich mit den Angehörigen eines Verstorbenen am Waldrand trifft. Den Trauergästen hat er vorher empfohlen, sich mit wetterfester Kleidung und trittsicherem Schuhwerk auszustatten.

Das Waldstück im Odenwald, Vorbild für den jetzt beschlossenen ersten „Friedwald“ in Nordrhein-Westfalen, ist eben kein Friedhof mit Steinplatten zwischen den Grabreihen. Auf dem Weg zur letzten Ruhestätte geht es hier durch Matsch und über feuchtes Laub unter Buchen und Eichen.

Die Buchen werden von den Frauen bevorzugt, während die Männer überwiegend unter Eichen liegen wollen, hat Förster Klose bei den 170 Toten festgestellt, die inzwischen in seinem Wald liegen – unter Bäumen, die für 99 Jahre verpachtet sind. Warum die Baumauswahl geschlechtsspezifisch ausfällt, weiß Klose auch nicht. Ein irgendwie merkwürdiger Zufall sei nur, dass man im Forst „von der Buche als der Mutter des Waldes“ spräche. Aber davon wüssten die Frauen, die ja meist aus den Städten kommen, um sich im Mittelgebirge einen Baum auszusuchen, eigentlich nichts.

Die „Friedwald-Idee“ kommt aus der Schweiz. Fünfzig Gräberfelder im Wald gibt es bisher im kleinen Nachbarland im Süden. In Deutschland sind es bisher lediglich vier – im nordhessischen Reinhardswald bei Kassel, in Hümmel in der Südeifel, bei Bramsche im Teutoburger Wald und eben im Odenwald. Jetzt hat auch der Gemeinderat des NRW-Kurstädtchens Bad Laasphe am Südrand des Sauerlandes beschlossen, im Rothaargebirge ein Waldstück für Urnenbestattungen unter Bäumen freizugeben. Für naturnahe Bestattungen hat die Fürst Wittgensteiner Rentkammer 100 Hektar Wald zur Verfügung gestellt, Bad Laasphe ist Träger der letzten Ruhe im Forst.

Im längst etablierten Friedwald oberhalb des Odenwald-Städtchens Michelstadt erkennt man zunächst nicht, dass es sich um einen Ort handelt, an dem viele Menschen begraben sind. Auf den ersten Blick das einzig Sichtbare: Um etwa jeden dritten Baum sind blaue Bänder gebunden. „Das sind die Bäume, die noch frei sind“, sagt Förster Klose.

Vor allem die Bäume am Waldrand, die mit freier Sicht aufs Tal, die sind schon weg. Ein „Familienbaum“ oder ein „Freundschaftsbaum“ bietet Platz für zehn Urnen und kostet für 99 Jahre ab 3.350 Euro, je nach Größe. Eine 250 Jahre alte Eiche ist teurer als eine Birke. Das könnte also für die Männer um einiges teurer werden als für die Frauen. Für den „Freundschaftsbaum“ hätten sich schon Nachbarschaften interessiert und ein Kegelklub, erzählt Burkhard Klose. Ob auf dem kleinen, unauffälligen Metallschildchen am Stamm dann „ Hier ruht Gut Holz“ stehen könnte. „Durchaus denkbar“, lacht der Forstbeamte.

Auch er hätte die Idee des „Friedwaldes“ am Anfang skurril gefunden. Aber inzwischen sei er von der Sache überzeugt: “Die Lebensformen haben sich verändert, die Familiengruft funktioniert doch schon deswegen immer schlechter, weil es immer weniger Familien in dieser Form gibt.“ Eine offizielle „Friedwald-Broschüre“ wirbt mit dem Foto zweier Frauen, die zusammen „an der Wurzel eines Baumes“ begraben werden wollen.

Wer künftig im ersten NRW-Friedwald begraben sein will, muß jetzt hoffen, dass der lange Arm Gebhard Fürsts, des katholischen Bischof von Rottenburg, nicht bis nach Süd-Westfalen reicht. Denn Fürst hält von der Friedwald-Idee, die jetzt auch in Bad Laasphe umgesetzt werden soll, einfach gar nichts.

Er hat bisher verhindert, dass es in Baden-Würtemberg die letzte Ruhe im Wald gibt: „Wir verteidigen nicht unser eigenes ,corporate design‘, unsere christliche Unternehmenskultur. Sondern es geht uns um die Humanität unsers Menschseins“, entgegnet Fürst denjenigen, die ihm unterstellen, er wolle einfach die Konkurrenz der Forstämter auf einem ureigenen Feld der Kirche nicht zulassen. Nein, darum gehe es nicht, sondern bei der Einrichtung von Friedwäldern seien „Anklänge an esoterische und an neuheidnische Naturvergötzung unverkennbar“, ist aus dem Bischofssitz am Neckar zu hören.

Burghard Klose, der Förster des 2001 eingeweihten ersten Friedwaldes in Südhessen, sieht das anders: Esoteriker seien das eigentlich nicht, die hier in den Stadtwald von Michelstadt kämen, um sich einen Baum für die letzte Ruhestätte auszusuchen. Es seien Atheisten, aber auch evangelische und katholische Christen. Gottesdienste habe es im Wald auch schon gegeben. Viele kennen den Odenwald als Touristen, fühlten sich hier immer wohl und wollen zu Hause den Verwandten nicht mit Grabpflege zur Last fallen, weiß Burghard Klose aus Gesprächen.

So manchem gehen auch die starren, ritualisierten Beerdigungsrituale auf den normalen kommunalen Friedhöfen gegen den Strich. In den Wald werde auch schon mal ein Casettenrecorder oder ein Cello mitgebracht. Gut vorstellbar, dass man im Sommer auf der nahen Wiese am Waldrand den Leichenschmaus als Picknick veranstaltet.

Klar, Bad Laaspe und das Wittgensteiner Land seien von den Ballungsgebieten im Rhein-Ruhr-Gebiet ziemlich weit weg, das gibt Axel Baudach zu. Baudach ist Geschäftsführer der Firma Friedwald GmbH in Darmstadt. Das Unternehmen hat sich die „Friedwald“-Idee für Deutschland rechtlich schützen lassen.

„Die Stadt Leverkusen hat uns einen schönen Wald angeboten. Der lag aber mitten in der Stadt. Da hörte man immer die Geräusche der Autobahn“, sagt Baudach. Zu seiner Idee vom Grab im Wald gehört pietätvolle Ruhe. Die sei an Rhein und Ruhr nur schwer zu finden. Auch die „Wildnis“ auf dem Gelände des Landschaftsparks Nord in Duisburg-Meiderich will er für sein „Friedwald“-Konzept nicht akzeptieren, so Baudach. Es müsse schon ein Stück gepflegte Natur sein, er habe nun einmal auch eine Marke zu schützen.

Außerdem habe ihm der Kirchenfürst aus dem Süden bei einer Fernsehsendung vorgeworfen, demnächst käme noch Aldi, und würde einen „Discount-Friedhof“ im Blumenbeet vor dem Aldi-Parkplatz vorschlagen. Das sei pure Polemik: Der Baum im Friedwald sei zwar billiger als ein Grab auf dem Friedhof, aber Discount wolle man auch nicht anbieten. Dass die Darmstädter Firma sich das „Friedwald“-Konzept rechtlich schützen läßt, ist ein weiteres Argument des katholischen Bischofs von Rottenburg gegen die neue Form von Waldfriedhof. „Eine kommerziell motivierte Geschäftsidee mit Monopolstellung“ sei das, so Gebhard Fürst.

Für den staatlichen Forstbeamten Burkhart Klose ist es eher ein gelungenes Modell von „Public-Private-Partnership“. Ohne die Firma „Friedwald“ hätten die hessischen Forstbetriebe die Idee niemals umsetzen können, nun verdienen sie damit Geld, sagt der Förster. Auch Bad Laasphe wird am „Friedwald“ verdienen. In Zeiten, in denen die Preise für Holz aus den heimischen Wäldern in den Keller gesunken sind, ist das ein willkommenes Zubrot für Gemeinden und Forstverwaltungen.

Nein, eine Sargbestattung würde man im Wald nicht zulassen, erklärt Burghard Klose. Schon aus wasserrechtlichen Gründen, aber auch, weil die Urnen dem Wurzelwerk der Bäume nichts anhaben könnten. Särge seien aber zu groß. Der „Friedwald“ sei ökologisch unbedenklich. Im Gegenteil: Im Saarland planen sie nun einen Friedwald gemeinsam mit dem Naturschutzbund (NABU) in einem „Urwald“, einem ökologisch besonders wertvollen Waldstück. Die Toten unter den Bäumen schaden dem Umweltgedanken nicht. Auch der künftige NRW-Friedwald in Bad Laasphe wird im Naturschutzgebiet liegen.

An manchen Stellen im Friedwald von Michelstadt sind auf alten Stümpfen Baumhälften als Sitzbänke angebracht worden. „Das war ein Wunsch von Angehörigen, die sich bei Besuchen im Wald auch mal hinsetzen wollten“, erklärt Forstmann Burghard Klose. Doch Blumensträuße, Gestecke und Kränze sind verboten. Wer will, kann ja aus Wald- und Wiesenblumen einen Strauß flechten oder aus Ästen ein Kreuz oder einen Kranz legen. „Das machen meine Waldarbeiter immer, wenn sie ein Loch für eine Urne graben“, erzählt Klose. Ganz ohne Trauerzeichen geht es auch im Wald nicht ab.

Ob der Bischof von Rottenburg das weiß? „Bisher hat der nie unsere Briefe beantwortet“, sagt Axel Baudach. „Ich würde ihm so gerne mal einen Friedwald zeigen“. Demnächst ist das auch in Nordrhein-Westfalen möglich. Doch die Reise aus dem südlichen Würtemberg ins Wittgensteiner Land ist noch weiter als der Weg aus dem Rheinland oder dem Ruhrgebiet. Das wird wohl nichts, mit dem Segen der katholischen Kirche für die Friedwald-Idee. Doch, wie es scheint, setzt die sich auch so durch.