Das wahre Leben

Falko Hennig und seine Radio-Hochsee-Experten beschäftigen sich heute im Central-Kino mit der erfolgreichsten amerikanischen Sitcom der Neunzigerjahre: „Frasier“

Eine gute Sitcom basiert auf unlösbaren Konflikten. Der beste denkbare Konflikt ist natürlich, zu einer Familie zu gehören. Bei „Frasier“ war die in der ersten Folge eingeführte Konstellation so gelungen, dass sie Stoff für nunmehr schon 10 Staffeln hergab. Nach seiner Scheidung zieht Frasier in seine Heimatstadt Seattle, um eine Stelle als Radiopsychologe anzunehmen. Gerade als er beginnt, sein neues Leben zu genießen, zieht sein Vater bei ihm ein. Mit seinem Bruder Niles, der ebenfalls Psychologe ist und ihn an Raffinement und Snobismus noch überbietet, gibt er sich einem Donquichotte-haften Kult um Shakespeare, Oper, Wein und Anzugstoffe hin.

Die beiden sind ewige Rivalen seit ihrer Kindheit, aber eben auch ihre einzigen Seelenverwandten. Ihr Vater, ein pensionierter Polizist, der lieber Bier als Wein trinkt, holt sie mit seinen einfachen Lebenseinsichten immer wieder auf den Boden zurück. Er passt so wenig zu den Brüdern, dass sie vermuten, er sei in einem Bastkorb angetrieben worden. Frasiers Problem ist, dass er zwar für seine Anrufer Rat weiß, aber selbst dauernd in seelische Zwangslagen gerät.

Man könnte aus den in jeder Folge aufgeworfenen Problemen eine Art Ethikhandbuch zusammenstellen. Denn es geht meist um moralische Dilemmata im menschlichen Zusammenleben. Der Vater schenkt seinem Sohn ein scheußliches Bild von einem Stierkämpfer. Was kann der Sohn, der seine Wohnungseinrichtung akribisch zusammengestellt hat, tun? Er hatte das Bild im Restaurant ja nur gelobt, um den Küchenchef nicht zu beleidigen. Oder Frasier trifft sich mit einem Fan, der im Rollstuhl sitzt und sich aufdringlich in sein Leben hineinquietscht, bis er regelmäßig bei ihm zum Frühstück auftaucht. Wie wird er ihn wieder los? Als Frasier sich bereit erklärt, dem unkultivierten Internetmillionär, der den Sender gekauft hat, Lektionen in Stil zu geben, zeigt sich der junge Mann so gelehrig, dass er in die Wohnung unter Frasier zieht und sie sich exakt nach seinem Vorbild einrichtet. Gemeinerweise kommt er damit auch noch auf die Titelseite des wichtigsten Inneneinrichtungsmagazins.

Die erfolgreichste amerikanische Sitcom der Neunzigerjahre (als erste Sitcom überhaupt gewann „Frasier“ 5 Emmies in Folge), ist in Deutschland nahezu unbekannt. Kelsey Grammer, der Hauptdarsteller, verdient inzwischen 1,6 Millionen Dollar pro Folge. Er ist damit der bestbezahlte Schauspieler im US-Fernsehen. Er spielt diese Rolle nun schon seit 18 Jahren, seit Frasier zum ersten Mal im legendären „Cheers“ auftauchte. Interessanterweise hat ihn das Schicksal nicht verschont. Sein Agent starb an Aids, sein Vater wurde ermordet, sein Bruder von einem Hai getötet, die geliebte Schwester wurde brutal vergewaltigt und erstochen. Er selbst saß wegen Kokainmissbrauchs im Gefängnis und therapierte sich noch in den Neunzigern in der Betty-Ford-Klinik. Ein Beleg für die enge Beziehung zwischen Leidensdruck und der Fähigkeit, Menschen zum Lachen zu bringen. Letzter Höhepunkt dieser aberwitzigen Unglücksserie: Miterfinder und Autor der Serie, David Angell, saß in einer der Maschinen, die am 11. September ins WTC flogen. JOCHEN SCHMIDT

Jochen Schmidt und Heinrich Dubel sind heute als Experten bei Falko Hennigs Radio-Hochsee-Spezial „Bruder Frasier“, Kino Central, Rosenthalerstraße 39, Mitte, 22 Uhr