Der Kreml feiert seinen Sieg

In der Kaukasusrepublik Tschetschenien spricht sich eine überwältigende Mehrheit bei einem Referendum für eine neue Verfassung aus. Das ist die offizielle Version Moskaus. Der Bürgerrechtler Sergei Kowaljow kritisiert Abstimmung als Schwindel

aus Moskau ZITA AFFENTRANGER

Laut eigenen Angaben hat Moskau bei der Verfassungsabstimmung in Tschetschenien ein wahres Traumergebnis erzielt: Nicht weniger als 96 Prozent der Bevölkerung hat gemäß ersten Auszählungen für den vom Kreml vorgelegten Friedensplan für die Kaukasusrepublik votiert, die Wahlbeteiligung wurde mit rund 80 Prozent angegeben.

„Das Ergebnis übertrifft unsere optimistischsten Erwartungen“, erklärte Russlands Präsident Wladimir Putin. Damit habe das tschetschenische Volk bewiesen, dass es in Frieden leben wolle, und all jene, die ihre Waffen nicht abgeben haben, „kämpfen direkt gegen ihr eigenes Volk“.

Die tschetschenischen Rebellen bezeichneten den Urnengang als „gänzlich gescheitert“ und das Resultat als eine reine Fälschung. Die große Mehrheit der Bevölkerung sei nicht zur Urne gegangen, Dutzende Abstimmungslokale seien zerstört worden. Der 1996 gewählte tschetschenische Präsident Aslan Maschadow hatte zum Boykott der Wahl aufgerufen. Kritik erntete das Referendum auch aus russischen Menschenrechtskreisen. „Der Urnengang war von Anfang an ein Schwindel“, sagte der russische Duma-Abgeordnete und Bürgerrechtler Sergei Kowaljow. „Die Mehrheit hat mit Ja gestimmt, weil sie weiß, dass sonst Repressionen drohen.“ Zudem hatte der Kreml laut Kowaljow alle Chancen, das Ergebnis zu manipulieren. Bei der Volkszählung letzten Herbst seien in Tschetschenien eine Million Menschen gezählt worden – eine viel zu hohe Zahl. „Alle diese toten Seelen arbeiten für den Kreml, das Referendum ist nicht legal und wird nichts dazu beitragen, den Krieg zu beenden.“

Umstritten bleibt der Urnengang auch unter den internationalen Beobachtern. So meldete die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) Zweifel an. „Die Bedingungen zur Abhaltung eines Referendums sind alles andere als ideal, und die vorgelegte Verfassung ist keineswegs perfekt“, erklärte OSZE-Missionsleiter Balian Hrair. Allerdings könnte das Referendum ein Erfolg werden, wenn es den „Anfang einer politischen Wende“ markiere.

Gemäß der Vorlage werden nun in Tschetschenien Parlaments- und Präsidentenwahlen durchgeführt. Zudem wird über den Status der Republik innerhalb Russlands entschieden. Putin hatte sich vor dem Urnengang an die tschetschenische Bevölkerung gewandt und der Republik bei Annahme der Verfassung eine weitreichende Autonomie versprochen. Zwei Tage vor der Abstimmung ließ der Kreml verlauten, man denke über eine Amnestie für tschetschenische Kämpfer nach. Daneben wurde mit dem Versprechen von Kompensationszahlungen für zerstörte Häuser geworben. Was davon noch Bestand hat, ist offen.

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