Wechselschicht für religiösen Beistand

In den USA müssen die Kirchen vor allem Seelsorge leisten. Viele Menschen sind verängstigt und suchen Trost

WASHINGTON taz ■ „Beten für den Frieden. 24 Stunden geöffnet.“ So steht es an vielen Kirchenpforten in der US-Hauptstadt. „Dies ist eine Zeit, in der sich viele Menschen allein und isoliert fühlen“, sagt Pfarrer Wardell Townsend von der Episkopal-Kirche am Stadtrand. Der Bau sieht aus, als sei er direkt aus England hierher zwischen Steakhaus und Reihenhäuser verpflanzt worden. Die beiden Pfarrer leisten Wechselschichten, um religiösen Beistand zu geben.

Lange vor Kriegsbeginn haben sich die großen US-Kirchen gegen diesen Krieg ausgesprochen. Selten zuvor in der US-Geschichte haben sie so schnell und deutlich ihre Stimme erhoben. Gemeinsam stimmten die Vereinigte Methodistische Kirche, die Katholische Bischofskonferenz, Quäker und Mennoniten, die Evangelisch-Lutheranische Kirche und der Nationale Kirchenrat in den Friedenschor ein.

Als letzte Woche die ersten Bomben auf Bagdad fielen, bekräftigten diese Kirchen ihre ablehnende Haltung gegen den Krieg. Die Katholische Bischofskonferenz bedauerte die Kriegsentscheidung und schrieb in einer Erklärung: „Wir hatten gehofft, dass ein Krieg vermeidbar ist. Nun muss alles unternommen werden, das Leben unschuldiger Zivilisten zu schützen und dem irakischen Volk schnellstmöglich Frieden zu schenken.“

Der Protest der offiziellen US-Kirchen richtet sich vor allem gegen die Doktrin des Präventivschlages. Bryan Hehir, Direktor von Catholic Charities USA, sagt, dass die katholische Morallehre Gründe kenne, die eine militärische Intervention rechtfertigen würden, zum Beispiel einen Genozid. Dies sei jedoch im Irak nicht der Fall. Der Krieg berge unabsehbare Risiken und würde die internationale Ordnung untergraben.

Doch der Eindruck einer geschlossenen Antikriegsfront der Christen in den USA trügt. Alle genannten Konfessionen zusammen vereinen nur rund zwei Drittel der gläubigen Christen. Die übrigen – vor allem die protestantischen Freikirchen – sind gespalten und halten sich mit offener Kritik an Präsident Bushs Außenpolitik zurück. Unter ihrem Dach versammeln sich viele konservativ eingestellte Amerikaner, die Bushs Kriegskurs befürworten.

Zudem gilt auch für die USA: Die offizielle Kirchenmeinung deckt sich nicht notwendigerweise mit der Haltung ihrer Mitglieder. Wie sonst ist zu erklären, dass eine breite Mehrheit der religiöseren und kirchenverbundenen Amerikaner den Krieg befürwortet? Eine jüngste Umfrage des Instituts für Religion und Demokratie kam zu dem Ergebnis, dass aktive Kirchgänger – jene mit mindestens einem Kirchenbesuch pro Woche – Bushs Kriegskurs stärker unterstützen als „Gelegenheitschristen“. Wer oft Gottes Nähe sucht, ist nicht automatisch ein Friedensaktivist. MICHAEL STRECK