Das Luxusgejaule

Es herrscht Krieg im Irak, es sterben irakische Frauen und ihre Kinder und manchmal auch amerikanische Soldaten, doch eines sollte man egal wo auf der Welt niemals außer Acht lassen: die Befürchtungen und Ängste der Menschen in Deutschland!

von ULI HANNEMANN

Sollte man während des Krieges kulturelle Veranstaltungen absagen? Ich denke, nein, das findet auch J., im Übrigen ein Namensvetter von J. Hitler (?!), wenn ich dessen Namen richtig verstanden habe, dem Nahostexperten von Sat1. Nahostexperten sind gefragte Menschen, solange es noch einen Nahen Osten gibt. Danach können sie ja was anderes machen, auf Fernostexperte umschulen zum Beispiel – mit zwei, drei Wochenendseminaren dürfte das ja wohl zu schaffen sein. Ein bisschen Zerstreuung ist in Ordnung, sagt J., der auf Bühnen jongliert und witzelt.

So etwas wie das Oktoberfest solle man aber absagen, meint J., das ginge dann doch zu weit. Das Oktoberfest absagen: ein schwerer Schlag für die Amis. Die aktuellen Meldungen der Kriegs-Show legen nahe, dass man im Oktober wird darüber nachdenken müssen: Vorgestern wird Ummr Krummrr bereits als besetzt gemeldet, gestern ist es umkämpft und heute sind die Amerikaner erst im Anmarsch, der noch dazu ständig ins Stocken gerät, weil den Soldaten andauernd die Schuhe aufgehen. Früher war die Reihenfolge immer umgekehrt – wenn das in diesem Sinne weitergeht, werden morgen, daheim in der Zivilisation, wohl erst mal die Indianer aufs Korn genommen.

Was ist mit der Bundesliga, frage ich J. Wir einigen uns darauf, dass so Spiele wie Rostock gegen Bochum, die gegen jeden Verdacht des leichten Amüsements erhaben sind, ruhig stattfinden können. Dazwischen könnte man ja öfter mal zwischen Lorant und Hitler hin- und herzappen, den Ikonen des Schreckens in ihrer jeweiligen Sportart, und auch da sieht man Fehlpässe und Eigentore: Ständig rasseln die Fluggeräte der Verbündeten zusammen oder gelangweilte GIs beschmeißen sich, präsentiert von Königs Pilsener, gegenseitig mit Handgranaten. Dabei sind die wahren Opfer ja ohnehin wir Deutschen „mit unseren Ängsten und Befürchtungen“, wie uns vom ersten Tag des Krieges an ins Hirn geblasen wird. Was für Ängste und Befürchtungen denn um Himmels willen? Dass Theater ausfällt? Dass jetzt jeden Samstag Bochum gegen Rostock spielt? Dass es in der Glotze von nun an nur noch diese merkwürdig spinatgrünen Flackerbilder gibt, von einem alternden André-Agassi-Verschnitt kommentiert, und darunter Schriftleisten, die so schnell vorbeirasen, dass bei ihrem dauernden Anblick irgendwann der Nystagmus versagt und man nur noch kotzen kann?

Sicher erscheint jedem Kind, das in Bagdad auf der Straße krepiert, ein dicker blonder Engel, der mahnend auf es einspricht: „Vergiss nicht die Befürchtungen und Ängste der Menschen in Deutschland!“ Wie damals nach dem 11. September: „Mein Gott – was bedeutet das für Deutschland?“ Ein an Schäbigkeit kaum zu überbietendes Luxusgejaule, wenn man betroffen ist ohne betroffen zu sein – die Sehnsucht des Übersatten nach völlig unverdientem Trost. Fällt in China ein Sack Reis um, werden noch am selben Tag in ganz Deutschland die Reissäcke festgezurrt. Drei Hansel sind an Sars erkrankt – wir werden alle sterben! Es ist überall das Gleiche: Sobald die wilde Sau durchs globale Dorf getrieben wird, knallt ein jeder wie gehabt sein Gartentor zu und spitzt das Jägerzäunchen an.

„Krieg ist immer auch ein Versagen der Politik“ ist eine im Kriegsprogramm häufig gehörte Schnurre – das kann man auch andersherum sehen: „Politik ist immer auch ein Versagen des Krieges“, oder mit anderen, brodelnden Worten: „Wer keine Eier im Sack hat und keine Knarre im Holster, der versucht es halt mit fruchtlosem Geschwätz.“ Am Ende setzt sich sowieso der Stärkere durch.

Die ersten Bilder von amerikanischen Kriegsgefangenen flimmern über den Bildschirm. Die Soldaten sehen ziemlich angefressen aus – sie wären wahrscheinlich lieber beim Oktoberfest. Aber das fällt ja aus, nicht zuletzt, weil die sich dauernd fangen lassen. Ihre einzige Hoffnung bleibt nun noch die Anzeige, die wegen Verletzung des Völkerrechts bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig eingegangen ist: Vielleicht wird Bush dann ausgeliefert und der Krieg ist bald zu Ende …