: Pinkel ins Auto, wenn’s brennt
Von der Popliteratur lernen heißt siegen lernen: Gregor Schnitzler verfilmt „Soloalbum“, den Debütroman von Benjamin von Stuckrad-Barre. Heraus kommt eine flotte Teenie-Komödie
von GERRIT BARTELS
Mit dem Film „Soloalbum“ verhält es sich wie mit „Deutschland sucht den Superstar“: Es gibt kein Entrinnen. Auf seine Darsteller stößt man auf dem Cover von Stadtzeitungen oder in den Boulevardmagazinen der privaten Fernsehsender, im Katalog eines hippen Mailorderversands wie „Frontline“, wo sie coole Markenklamotten modeln, oder auf der Interviewseite des betulichen Berliner Tagesspiegels, wo sie ihre Abscheu vorm Krieg ausdrücken dürfen und verraten, keinen Fernseher zu besitzen.
Die PR-Maschinerie schnurrt reibungslos und flächendeckend, nicht zuletzt auch deshalb, weil ein Großteil ihrer Arbeit schon vor Jahren erfolgreich geleistet worden ist: „Soloalbum“ basiert auf Motiven von Benjamin von Stuckrad-Barres gleichnamigem Roman, der nach Joachims Lottmanns „Mai, Juni, Juli“ in den Achtzigern der Popliteratur in Deutschland zu ihrer zweiten Geburtsstunde und einer kurzen, heftigen Blüte verhalf und sich seit Erscheinen 1998 fast 300.000-mal verkauft haben soll.
Nun lässt sich nicht gerade sagen, dass Stuckrad-Barres „Soloalbum“ aus vielen leicht nachzuerzählenden Geschichten oder gar spannenden Handlungssträngen bestehen würde und sich bequem verfilmen ließe, besteht der Roman doch vorwiegend aus den Innenansichten eines jungen Mannes, dem die Freundin weggelaufen ist. Insofern ist es beachtlich, wie Regisseur Gregor Schnitzler und sein Filmteam aus der Vorlage eine nicht nur hübsche, sondern auch flotte Teenie-Komödie gemacht haben. Im Mittelpunkt auch hier ein Jüngling, der nicht nett mit seiner Freundin umspringt (lässt sie sitzen an ihrem Geburtstag, vergnügt sich mit anderen Frauen), dann von ihr verlassen wird und schließlich merkt, dass er doch ganz schön an ihr hängt.
Wie er nun versucht, erst über die Trennung hinwegzukommen und irgendwann sein Herzblatt mit allen möglichen Mitteln zurückzugewinnen, davon erzählt dieser Film mitunter vergnüglich und leicht, mitunter hart an der Grenze zum peinlichen Klamauk. Etwa wenn unser junger Mann, der Redakteur eines Musikmagazins ist, vor den Augen seiner zahlreichen Redaktionskollegen (wie viele Mitarbeiter so ein Magazin hat!) von Thomas D. eins in die Fresse bekommt. Oder er mal ordentlich das Auto seines Nebenbuhlers vollpinkeln will und dann seinen Schwengel an der automatisch hochgehenden Fensterscheibe einklemmt. Nun ja. Das muss wohl so, das weckt zuweilen unangenehme Erinnerungen an Schnitzlers Filmdebüt „Was tun, wenn’s brennt“, das ebenfalls zwischen vergnüglicher und unsäglicher Unterhaltung schwankte.
Darüber hinaus liefert „Soloalbum“ ein paar schöne Lifestyle-Vorlagen fürs Zielpublikum (Cave, Kids: Berlin ist nicht so!), stellt vor allem aber einige junge und nicht unattraktive Schauspieler einem möglicherweise bald größeren Publikum vor: Die 22-jährige Nora Tschirner als Katharina, die bislang nicht gerade zu den lockersten, geschweige denn talentiertesten Moderatorinnen von MTV gehörte, der man nun aber gern dabei zuschaut, wie sie sich ihrem Exfreund lange verweigert. Der ebenfalls 22-jährige Matthias Schweighöfer als Ben, der sich vor einem Robert Stadlober nicht zu verstecken braucht und dem man ebenfalls sehr gern auf seinen postpubertären Irrwegen folgt. Aber auch Oliver K. Wnuk und Christian Näthe als Bens Freunde, Lisa Maria Potthoff als Bens „Neue“ und nicht zuletzt Sandy Mölling von den No Angels, die hier als Anastacia-Lookalike einen Cameo-Auftritt hat.
Bezeichnend übrigens, dass manche Kollegen und Kolleginnen „Soloalbum“ vorab schon das Prädikat „So ein Scheiß!“ verliehen, der Film also ähnliche Reaktionen auszulösen scheint wie seinerzeit Stuckrad-Barres Roman („Das ist doch keine Literatur!“). Er dürfte also ein voller Erfolg werden. Und wer zuletzt öfters im Kino war und dort den Trailer für die im Oktober (!) startende Verfilmung von Sven Regeners Kreuzberg-Roman „Herr Lehmann“ mit Christian Ulmen in der Hauptrolle gesehen hat, könnte leicht auf den Gedanken kommen, dass es in den nächsten Monaten für den schwachbrüstigen deutschen Film heißen wird: Von der Popliteratur lernen heißt siegen lernen.
„Soloalbum“. Regie: Gregor Schnitzler. Darsteller: Matthias Schweighöfer, Nora Tschirner, Leander Haußmann, Sandy Mölling u. a. Drehbuch: Jens-Frederik Otto, D 2003, 105 Min.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen