Schülerdemos waren vorbereitet

Über 100.000 SchülerInnen gingen seit dem Kriegsbeginn auf die Straße. Was gerne als spontane Empörung der Handy-Generation porträtiert wird, hat auch eine präzise Organisationsstruktur: die Jungkader der „Sozialistischen Alternative“

„Die SchülerInnen sind souverän – wir müssen höchstens moderieren“

aus Berlin LENNART LABERENZ

Am Donnerstag vergangener Woche, George W. Bush hatte den Angriffsbefehl gegen den Irak gerade erteilt, organisierten SchülerInnen Großdemonstrationen in der ganzen Republik. Auf dem Berliner Alexanderplatz versammelten sich rund 50.000 SchülerInnen, in Rostock gut 8.000, in Stuttgart sollen es 20.000 gewesen sein. Am Montag folgten in Hamburg 20.000, andere sprechen von 50.000 TeilnehmerInnen – meistens SchülerInnen. War das Zufall? Spontaneität?

Auf die Frage, ob die Massen am Alex als Erfolg gewertet werden könne, lächelt Vivien Hellwig (19) vom Berliner John-Lennon-Gymnasium das erste Mal. Die Routine, mit der sie ihre Pressegespräche absolviert, weicht für einen Moment schüchterner Freude. „Ja schon“, meint sie, schließlich gebe es in Berlin nur etwa 40.000 Oberstufenschüler.

Vivien sitzt im Koordinationsbüro von „JugendGegenKrieg“, jenem Netzwerk, das die Demonstrationen organisiert hat. Die 19-Jährige tut das, was David in Hamburg macht, Frank Zimmermann (27) in Rostock und Tinette Schnatterer (22) in Stuttgart. Überall auch die gleiche Struktur: In Berlin teilt sich das Aktionsbündnis GegenKrieg das Büro mit der Gruppe „Widerstand International“. Im Boot sitzen ebenso die Linkssektierer von der „Sozialistischen Alternative (SAV)“, die nicht unbeteiligt am organisatorischen Glanzstück sind. Die Koordination der SchülerInnen ist offensichtlich mit Widerstand International und SAV verbandelt – ohne dass inhaltliche Vorgaben der Platt-SozialistInnen die Szenerie bestimmen würden. Politisierende Vorfeldarbeit heißt das wohl.

Auf lokaler Ebene läuft die Mobilisierung ähnlich. Antikriegskomitees bereiteten den Unterrichtsstreik in der Schulen gut vor. Von dort führte der Weg zur regionalen Jugendkonferenz, daneben werden „die Werktätigen“ angesprochen. In Berlin geht Vivien am Donnerstag zur Frühschicht bei Siemens, David will am Freitag Hamburger HafenarbeiterInnen ansprechen. Tinette hat neben Militärbasen auch Daimler und MAN im Visier. Die Diktion ist überraschend gleich: „Wir müssen uns mit ArbeiterInnen kurzschließen um wirksame Kurzstreiks und Proteste zu bewirken“, leitert Vivien das kleine Einmaleins widerständischer Organisationstheorie herunter.

Tinette, David, Frank und Vivien bilden Knotenpunkte in einem politischen Netzwerk, das aus einer breiten Kritik am Angriffskrieg zusammengehalten wird. „Wir glauben auch nicht an den Friedenswillen von Rot-Grün“, addiert Tinette eine Perspektive hinzu – von der allerdings nicht klar ist, ob das schon als Mehrheitsmeinung gewertet werden kann. Die Organisationsstrukturen entstanden nach dem Afghanistankrieg und wurden von persönlichen Erfahrungen vielfach bestärkt: So versperrten im Herbst Schulrektoren den Demonstrierwilligen die Schultüren, es gab Verweise. „Das sollte nicht wieder passieren“, sagt Nora Kauffeldt (17) vor der Berliner John-Lennon-Schule. Die Proteste sollten koordiniert ablaufen. Dazu gehören vorgefertigte Entschuldigungszettel und Abstimmung mit LehrerInnen.

Dennoch vermieden es AktivistInnen wie Nora, zu früh mit Flugis und lauten Ankündigungen die Direktion zu vergrätzen. Nora ist Klassensprecherin der 11 d. Sie repräsentiert ihre Klasse in der Gesamt-SchülerInnen-Vertretung (GSV). Dieses Gremium verhandelte mit dem Direktor über das Aufhängen von Antikriegsplakaten – welche verboten wurden – oder die Organisation eines Unterrichtsschwerpunkts. Für sie, wie auch für Birte Adam (17) und Rowaa Keroumi (17), waren der 11. September und der Krieg in Afghanistan Eckpunkte politischer Prägung, die auch im Unterricht diskutiert wurden. Auf einer Fachkonferenz hatten sie Terrorismus und die Frage der „Großmacht USA“ behandelt. Zum Irakkrieg allerdings, so führt Nora aus, sei inhaltlich bislang wenig gelaufen – und das, obwohl sie Politische Weltkunde als Leistungskurs belegt. Leider habe sich auch der Vorschlag, einen Projekttag zum Thema zu machen, in der GSV nicht durchgesetzt, „vermutlich hätten sich da zu wenige eingebracht“. Aber am letzten Donnerstag brauchte es nicht viel, um die Oberstufen geschlossen auf den Alex zu lenken.

Überhaupt ist Nora in dieser Hinsicht so pragmatisch, wie Vivien oder Stefan Lerch (16) vom Rostocker Erasmus-Gymnasium der Presse gegenüber gelassen sind. „Wir haben am Donnerstag früh die Sache mit dem Direktor ausgehandelt.“ Ausgehandelt hieß, dass alle SchülerInnen ab der 10. Klasse demonstrieren durften, der Rest arbeitete nach der zweiten Stunde vor Ort zum Thema. So demonstrierten die Älteren, während Jüngere in Englisch die Reden von Little Bush analysierten. So harmonisch stellt sich das Bild nicht immer dar: Das baden-württembergischen Kultusministerium hatte angewiesen, „SchülerInnen nicht zu den Demonstrationen zu lassen“, berichtet Tinette. Auch gab es Verweise, Einschließungen und Bußgeldandrohungen.

Zusammengeführt werden die verschiedenen Enden im Internet. Keineswegs könne von einer Spontandemo, die sich per Kurzmitteilung über das Mobiltelefon koordiniert, gesprochen werden. „Eine Mediensache“ sei diese Behauptung, stellt Tinette klar. Mitte Februar begannen der Arbeitslose Frank Zimmermann in Rostock mit der Kampagne, schneller waren die Stuttgarter: Am 25. Februar demonstrierten hier die ersten SchülerInnen. Tinette studiert mit SAV-Vergangenheit an der Uni Stuttgart, hält aber Kontakt zu den Schulen. „Wir wollten nicht warten, bis der Krieg begann, sondern auf die Vorbereitungen hinweisen.“

„Brutale Arbeit“ seien die letzten Wochen in Hamburg gewesen, bestätigt David (24), der seine Ausbildung an der Hamburger Fachschule für Sozialpädagogik abgebrochen hat. Im Zuge der wöchentlichen Treffen und Diskussionsrunden, meint er, hätten auch jüngere SchülerInnen „eine unglaublichen Souveränität beim Thema entwickelt“. Es seien Anfragen von Schulen gekommen, „dass wir hier höchstens moderierend eingreifen müssen“. David schwingt sich sogar weiter hinauf in die luftigen Höhen politischer Organisationsphilosophie. Während sich die Linken in den 1990er-Jahren versicherten, sie seien nur wenige, habe die „riesige Eigendynamik“ der Globalisierungskritik heute ein „erstaunliches politisches Level“ erreicht. Allerdings, das ist ihm klar, seien die aktivierten SchülerInnen längst nicht alle kapitalismuskritisch.