John Kerrys Vorteil: Vietnam

Sieben Primaries an einem Tag: Jetzt gilt es für die Kandidaten, bei Red Necks aus Arizona ebenso zu punkten wie bei Businessmenschen aus Delaware

AUS WASHINGTON MICHAEL STRECK

Heute könnte die Vorentscheidung darüber fallen, welcher Demokrat im November US-Präsident George W. Bush herausfordern wird. In sieben Bundesstaaten wird gleichzeitig gewählt. Es geht um eine Vielzahl von Delegiertenstimmen für den Nominierungsparteitag im Juli in Boston. Kandidaten, die heute auf Platz drei und vier landen, droht das Aus.

John F. Kerry, der überraschend die Vorwahlen in Iowa und New Hampshire gewann, liegt in allen Umfragen deutlich vor Howard Dean, der noch zu Jahresbeginn als aussichtsreichster Kandidat galt. Die Mehrheit der Kommentatoren in Zeitung und Fernsehen sieht in ihm den zukünftigen Herausforderer von Amtsinhaber Bush.

Der kleine „Super Tuesday“ ist die erste Wasserscheide. Er testet die Bewerber in einem viel breiteren Gesellschaftsspektrum als in den beiden vorangegangenen Vorwahlen in Iowa und New Hampshire, wo die Bevölkerung relativ homogen und politisch aktiv ist. Nunmehr gilt es, zugleich bei Schwarzen, Latinos, Bibelgürtel-Konservativen, Städtern und Farmern zu punkten.

Missouri gilt dabei als der am heftigsten umkämpfte Bundesstaat, nachdem der hier beheimatete Kongressabgeordnete Dick Gephardt nach seiner Niederlage in Iowa das Handtuch warf. Der Staat ist ein amerikanischer Mikrokosmos. Das Verhältnis von schwarzer zu weißer, ländlicher zu städtischer Bevölkerung spiegelt die Verhältnisse im ganzen Land wider. Es ist ein traditioneller „Wechselwählerstaat“, dessen Wahlverhalten genau darauf hin unter die Lupe genommen wird, ob sich daraus Hinweise auf die allgemeine politische Stimmung ableiten lassen.

Der heutige Dienstag markiert zudem den Beginn eines abstrakteren Wahlkampfs als in Iowa oder New Hampshire, wo die Kandidaten tagelang an Haustüren klopften und persönlich um Stimmen warben, wo sie Schulen und Bürgerversammlungen besuchten, in Kneipen Omeletts wendeten, sich so volksnah wie nur möglich inszenierten und wo die Wahrscheinlichkeit, einen von ihnen live zu erleben, groß war. Nunmehr wird der Kontakt zwischen Kandidat und Wähler fast ausschließlich über den Fernseher hergestellt.

Kerry ist der einzige Kandidat, der in allen Bundesstaaten aktiv Wahlkampf betreibt und versucht, vor Ort zu sein – ein Zeichen wachsender Rückendeckung und üppig fließender Spendengelder. Zum Erstaunen von John Edwards, dem Senator aus North Carolina, der sich gern als „Sohn des Südens“ präsentiert, erhielt er die öffentliche Unterstützung des Kongressabgeordneten Jim Clyburn aus South Carolina, eines der mächtigsten schwarzen Politiker im Süden.

Howard Dean dagegen sieht einem trüben Wahlausgang entgegen. Der Stern des einstigen Hoffnungsträgers der Parteilinken scheint verglüht. Nach letzten Umfragen liegt er abgeschlagen bei rund 15 Prozent Stimmenanteil. Aus Finanznot verzichtete er völlig auf TV-Anzeigen. Seine Fans bereitete er vorsorglich auf erneute Niederlagen vor und verkündete, dass er dennoch nicht an Kapitulation denke. Wenig Hoffnung dürfte sich auch Wesley Clark machen. Sollte der ehemalige Nato-Befehlshaber nach seinem enttäuschenden Abschneiden in New Hamsphire nicht irgendwo mindestens als Zweiter ins Ziel kommen, sind seine Tage als Präsidentschaftskandidat gezählt. Seine Frustration dürfte sich in Grenzen halten, galt seine Kampagene doch ohnehin eher als Versuchsballon, mit dem er sich längst als Außen- oder Verteidigungsminister in einem Kabinett Kerry empfohlen hat.

Kerry selbst erlebt nun den Segen und Fluch des Spitzenmanns. Seine Worte werden auf die Goldwaage gelegt, seine Vergangenheit wird genaustens analysiert, man kramt nach Widersprüchen und Ungereimtheiten. Anders als Dean, der aufgrund der permanenten Durchleuchtung letztlich strauchelte, wird der im Umgang mit den Medien geübte Senator aus Massachusetts wohl weniger Angriffsflächen bieten. Dennoch lassen Bushs Wahlkampfhelfer vorsorglich schon einmal durchblicken, wie sie Kerry zu attackieren gedenken: als Neuengland-Liberalen und inkonsequenten Politiker, der seine Meinung im Kongress wie das Hemd wechselte. Doch selbst Charles Krauthammer, konservativer Kolumnist der Washington Post, glaubt, dass die Republikaner seine außenpolitische Erfahrung und Biografie als Vietnam-Veteran zu fürchten haben.

Denn anders als der von 2000 ist dieser Wahlkampf überraschend deutlich von außenpolitischen Fragen bestimmt. Die jüngste Debatte der Bush-Herausforderer in South Carolina letzten Donnerstag hat gezeigt, dass Irakkrieg, Antiterrorkampf und Amerikas Rolle in der Welt die dominanten Themen sind.