Vor humanitärem Desaster

Eine halbe Million Menschen fliehen im Nordirak vor befürchteten Angriffen Saddam Husseins. Medikamente in Bagdad knapp. UN-Sicherheitsrat könnte Nahrungsmittelhilfe wieder einsetzen

BERLIN taz ■ Seit Kriegsbeginn sind nach UN-Angaben etwa 22.000 Iraker an die Grenze zu Iran geflohen. Die Flüchtlinge hätten ihre Heimat vorsichtshalber verlassen und offenbar nicht die Absicht, nach Iran einzureisen. Im kurdischen Nordirak sind bis zu 500.000 Menschen vor den Bombardements der Städte aufs Land geflohen. „Die Gesundheitsstruktur dort ist sehr schlecht“, heißt es von Katja Maurer, Sprecherin von Medico International.

Von einer „sehr angespannten Situation“ berichtet Sid Peruvemba, der die Nothilfe des Malteser-Hilfsdienstes vom türkischen Sipoli aus koordiniert. Die von der Bevölkerung angelegten Vorräte reichten maximal noch für zwei Wochen. „Die Kurden haben panische Angst vor Vergeltungsschlägen von Hussein“, so Peruvemba zur taz. So stiegen nicht nur die Preise für Lebensmittel ins Unermessliche, sonder auch die für Plastikplanen. „Viele glauben, dass sie sich damit vor Giftgas schützen können.“

Die Flüchtlingslager in den Nachbarländern blieben auch am Dienstag weitgehend leer. Die Gründe für das Ausbleiben der Flüchtlinge sind nach Einschätzung von Experten vielschichtig. Stefan Telöken, Sprecher des UNHCR in Deutschland, geht laut AP davon aus, dass die Vorräte der Bevölkerung bis Ende April reichen. Außerdem seien zentrale Fluchtwege durch die alliierten Angreifer abgeschnitten.

In Bagdad besteht in den Krankenhäusern nach IKRK-Angaben zunehmend Knappheit an Verbandsmaterial und Medikamenten, vor allem zur Behandlung chronisch Kranker. Hier sei die Zahl der Patienten mit stress-bedingten Erkrankungen sprunghaft angestiegen. Neben dem IKRK unterstützt auch ein Team von Ärzte ohne Grenzen (MSF) die Kollegen in der irakischen Hauptstadt. Im Al-Kindi-Krankenhaus im Nordosten der Stadt, wo derzeit etwa 250 Kranke und Verletzte versorgt werden, könne bislang normal gearbeitet werden, so Kattrin Lemp, die Sprecherin von MSF Deutschland. Gestern Nachmittag seien von Amman in Jordanien zwei Lkws mit Nothilfe-Kits für 300 Operationen, Impfstoffen und Hygieneartikeln in Richtung Bagdad losgefahren, so Lemp. Unicef befürchtet, dass wegen des Zusammenbruchs der Wasserversorgung allein im südirakischen Basra 100.000 Kinder unter fünf Jahren von Krankheiten bedroht sind. Viele seien dadurch in Lebensgefahr, erklärte das UN-Kinderhilfswerk. Die neun Hilfsorganisationen, die sich in der „Aktion Deutschland hilft“ (ADH) zusammengeschlossen haben, warnten vor einer humanitären Katastrophe. Bereits jetzt seien rund zehn Millionen Menschen, vor allem in den großen Städten Bagdad, Mosul und Basra, von einer Versorgung abgeschnitten.

In der südirakischen Hafenstadt Umm Kasr sollen heute nach Angaben der Militärs erste Hilfslieferungen aus Großbritannien eintreffen – 192 Tonnen Nahrung und Trinkwasser sowie Decken und Plastikplanen. Auch 28 Tonnen Hilfs-Pakete mit der Aufschrift „Ein Geschenk des kuwaitischen Volkes“ sollten an die Bevölkerung in und um Umm Kasr verteilt werden. Internationale Hilfsorganisationen warnen indes vor einer Militarisierung der humanitären Hilfe. „Wir sind sehr besorgt über die Einbettung der Hilfe in Militärstrategien“, sagte Katja Maurer, Sprecherin von Medico International.

Angesichts der Entwicklung wird der Weltsicherheitsrat in New York möglicherweise noch diese Woche eine Resolution verabschieden, die umfassende Hilfslieferungen ermöglicht. Sie sollen aus dem „Öl für Nahrung“-Programm finanziert werden.