Subversive Spielereien

Die Galerie Dörrie * Priess zeigt Arbeiten des „Die Tödliche Doris“-Mitbegründers Wolfgang Müller

von JAN MÖLLER

Leicht zu fassen war Die Tödliche Doris nie. Vor 23 Jahren von Wolfgang Müller, Käthe Kruse und dem 1996 in Folge von AIDS gestorbenen Nikolaus Utermöhlen gegründet, besetzte sie verschiedene Sparten der Kunst, insbesondere die der Musik. Dabei verstand sie es stets, das Rohe, Drängende des Punk mit strategischem Kalkül zu vereinbaren. Erwarten durfte man die wohl genialsten der so genannten „genialen Dilletanten“ immer dort, wo sie auch der Doris-Sachverständige Dietrich Kuhlbrodt beheimatet sah: dort nämlich, wo man sie eben nicht erwartete. 1987 initiierte die Gruppe zum Beispiel eine Ausstellung für Hunde und Katzen in einer Berliner Tierarztpraxis.

Was Kuhlbrodt einst über Doris gesagt hat, gilt für Wolfgang Müller noch heute. Und das, obwohl es den gebürtigen Wolfsburger seit Anfang der Neunziger immer wieder an ein und denselben Ort zieht: nach Island. Gemeinsam mit seinem Alter Ego Úlfur Hródólfsson widmet er sich dort unterschiedlichen Aspekten des Alltags: der Homoerotik ebenso wie Fehlern auf Atlaskarten, der Nichtexistenz der isländischen Eisenbahn genauso wie den Elfen und Zwergen. Wie ausgeprägt Müllers Island-Tick ist, zeigte sich spätestens 1998 nach der Abwicklung des Goethe-Instituts Reykjavík. Zusammen mit Elísa Alfredsdóttir, dem einzigen Mitglied der isländischen Transvestitenorganisation, richtete Müller damals im Living Art Museum von Reykjavík kurzerhand das erste private Goethe-Institut der Welt ein. Es bestand lediglich aus einem Schreibtisch, einem Blumentopf und einem Faxgerät, das immer dann klingelte, wenn die alte Nummer des Ursprungs-Instituts angewählt wurde. Obwohl es sich laut Müller um „eine rein künstlerische Arbeit“ handelte, dauerte es nicht lange, bis ihm die „Verwendung der Marke „Goethe-Institut“ unter Androhung einer Vertragsstrafe von 10.001 Mark untersagt wurde. Nun heißt das Projekt “Walther von Goethe Foundation Reykjavík“, benannt nach dem schwulen letzten Enkel von Goethe, der angeblich sehr an seinem Großvater litt.

An der Posse um das Goethe-Institut lässt sich ablesen, dass sich Müllers Kunstverständnis im Kern nicht von dem der Gruppe Die Tödliche Doris unterscheidet. Die hatte häufig subversive Spielereien mit den Mechanismen der Waren- und Kulturverwertung getrieben. Müller tut das ebenfalls, das Mittel der Parodie stets mitdenkend, um es dann bewusst hinter sich zu lassen. Die Kunst besteht bei ihm oft darin, dass der Kunstbetrieb nur simuliert wird, beispielsweise wenn Alltägliches nach kunstgerechten Regeln benannt und vorgeführt wird. Fast ausschließlich widmet er sich dabei dem Vernachlässigten, dem nach der marktwirtschaftlichen Verwertungslogik Uninteressanten – und zwar gern mit einer absurd anmutenden behördlichen oder wissenschaftlichen Akribie. Die Folge: Der Realitätsbegriff gerät ins Wanken, eine angenehme Ratlosigkeit macht sich breit.

Wahrscheinlich auch wieder, wenn die Galerie Dörrie * Priess ausgewählte Arbeiten Wolfgang Müllers zeigt. Am 5. April wird im benachbarten Westwerk zudem eine unsichtbare Doris-LP von Françoise Cactus und Brezel Göring in Gebärdensprache szenisch dargestellt. Zwar hat sich Die Tödliche Doris vor langer Zeit aufgelöst, indem sie sich öffentlich in einen italienischen Wein verwandelte. Aber tot ist sie nicht. Vor allem in Wolfgang Müllers Freude daran, sich permanent selbst zu überraschen, lebt sie munter weiter.

Mi–Fr 13–18 Uhr, Sa 12–14 Uhr + nach Vereinbarung, Galerie Dörrie * Priess, Admiralitätsstr. 71; 29. März bis 30. April