berliner szenen Schieber und Schilder

Sonntags im Burger

Es ist Sonntagnacht, es ist spät. Abschlepper, Freaks und Studenten sammeln sich in der Tanzwirtschaft in der Torstraße. Ein Schallplattenunterhalter sollte laut Ankündigung Surf spielen, aber außer den Beach Boys und der Pulp-Fiction-Erkennungsmelodie hat er nichts dabei an Surf, also gibt es ein Querfeldein durch die Staubwelt der Populärmusik. Passt zum Ambiente, passt auch zur Anlage, die aus einem Jugendzimmer in Berlin-Spandau um 1985 stammen könnte. Den feierfrohen Besuchern, hoher Stammpublikumsanteil, ist es egal.

Wie ein von Hochwasser umströmtes Verkehrsschild steht ein Mann auf der Tanzfläche und schenkt Paartanzversuchen und Ausdrucksringern keine Beachtung. Der Plattenaufleger, sichtlich angetan von der unverhofften Begeisterungsfähigkeit in tiefer Nacht, legt jetzt eine unglaubliche deutschsprachige Fassung des Chansons „Nathalie“ von Gilbert Bécaud auf. Eine schöne junge Frau stellt ihre Handtasche ab; ungefähr an die Stelle, an der gerade noch das Verkehrsschild gestanden hat. Sie wirft ihre Beine durch den Raum. Zwei Pärchen in Reichweite gehen in Deckung. Dann fordert sie ein junger Mann zum Paartanz auf.

Das Bier fließt in Strömen, der Plattenboss kündigt das letzte Stück an. Die Handtasche der jungen Frau ist umgekippt, ein herumrollender Lippenstift gefährdet kurz die Balance mehrerer Schieber, dann folgt ein Lächeln. Die junge Frau steckt ihren Stift wieder ein. Als das letzte Stück gespielt ist, mag noch niemand gehen. Es ist, als ob es kein Morgen gäbe im Kaffee Burger, das neue Paar tritt einen allerletzten Tanz an, nur das Verkehrsschild steht jetzt draußen und wartet auf ein Taxi.

RENÉ HAMANN