ein amerikaner in berlin
: ARNO HOLSCHUH über die Suche nach dem echten Antiamerikanismus

„Bist du nun Antiamerikaner oder nicht?“, frage ich mich. „Hmm, glaube nicht“, antworte ich mir

Manche Leser mögen sich gefragt haben, was dieser Amerikaner in Berlin so treibt, wenn er nicht gerade am Computer sitzt und besserwisserische Witze über sein Land und diese Stadt macht. Tja, das Leben eines Kolumnisten ist nicht so leicht, wie man es sich vorstellt. Ich zum Beispiel muss mich dauernd von meinen schöpferischen Anstrengungen erholen, indem ich alte Derrickfolgen schaue und meine Katze streichele. Seit ich diese Kolumne schreibe, hat die Kleine eine geradezu pawlowsche Reaktion auf die Titelmusik der Sendung entwickelt. Sie weiß: Während Hauptkommissar Hängegesicht München wieder für seine Spießbürger sicher macht, darf sie auf meinem Schoß sitzen.

Aber von Kolumnen, Derrick und Katze alleine kann man nicht leben. Zumindest finanziell nicht. Daher ist es gut, dass ich im Moment im Rahmen eines Stipendiums der Freien Universität eine Arbeit über Antiamerikanismus in den deutschen Medien schreibe. Das Thema ist für mich einerseits sehr aufregend, weil es mein Leben beeinflusst, und anderseits extrem bequem, weil ich mich selbst untersuchen kann. Das führt zu interessanten Selbstgesprächen:

„Bist du nun Antiamerikaner oder nicht?“, frage ich mich.

„Hmm, glaube nicht … also einverstanden mit der Entwicklung meines Landes bin ich nicht, aber irgendwie find ich es trotzdem großartig.“

„Das ist doch keine Aussage.“

„Ach, Mann, was willst du denn hören? Ich muss weiter darüber nachdenken. Vertagen wir dieses Interview und gucken Derrick.“

„Einverstanden.“

Wie wir sehen, ist Antiamerikanismus eine höchst komplizierte Thematik, da eindeutige Fälle sehr schwer dingfest zu machen sind. Ich verliere manchmal den roten Faden, weiß nicht mehr, was als Amerikafeindlichkeit gilt und was als journalistische Spitzenleistung. Da hilft nur eins: dem nichtmedialen Antiamerikanismus ins Gesicht zu sehen.

Dafür fahr ich natürlich nach Kreuzberg 36. Mein Lieblingskiez hat mir immer ganz klare Fälle von Amerikahass beschert, vor allem nachts in der Kneipe beim fortgeschrittenem Alkoholpegel. Vergangenes Jahr musste ich um meine Sicherheit bangen, als mir ein schon leicht angetrunkener Riese abwechselnd „Scheiß Amis!“ und „Borussia Dortmund!“ ins Gesicht brüllte. Glücklicherweise waren seine Freunde noch wach genug, um seinen Mund sofort mit einer neuen Bierflasche zu stopfen. Aber seitdem freue ich mich immer, wenn der BVB verliert.

Letzte Woche kam es anders. Ich saß in der Ankerklause und trank friedlich mein Veltins, als ein junger Mann mich ansprach.

„Hallo, ich mag deine Haare“, sagte er, was sofort meine verlegen-aber-irgendwie-geschmeichelte Standardreaktion auf einen homosexuellen Anmacheversuch auslöste. Aber bevor ich ihm verlegen erklären konnte, dass ich irgendwie geschmeichelt war, sagte er: „Ich möchte nach Irak fahren, eine Bombe bauen und Amerikaner töten.“

Das war mal eine klare Aussage. Ich versuchte ihn einzuordnen: War er nun schwul oder nicht? War er gewaltbereit? Und sehen meine Haare echt so gut aus, dass sie solch ein Lob verdienen? Mir war jedenfalls klar, dass ich sofort meinen Wissenschaftlerhut aufsetzen und ihn ausfragen musste. Also kaufte ich ihm ein Bier und setzte mich.

„O.K. Wieso willst du Amerikaner töten?“

„Weil sie Irak zerstören.“

„Doch nicht alle. Das ist wohl nur Bush und seine Clique.“

„Ja, aber an die komm ich nicht ran.“

„Trotzdem macht es keinen Sinn, einfache Soldaten umzulegen. Außerdem: Nach Irak musst du nicht fahren, denn auch ich bin Ami.“

Erst schaute er mich kritisch an. Dann musterte das Bier, das ich ihm gerade gekauft hatte. Anschließend schaute er mich etwas weniger kritisch an.

„Ich muss darüber nachdenken“, sagte er und ging. Ich hoffe nur für ihn, dass er einen ausreichenden Vorrat an Derrickfolgen zu Hause hat.