Besetzer vor Gericht

In Berlin müssen sich seit gestern sechs Exil-Iraker verantworten, die im vorigen August die Botschaft Iraks besetzten und zwei Geiseln nahmen

BERLIN taz ■ Terroristen oder Freiheitskämpfer? Für die Verteidiger von sechs Exil-Irakern, die seit gestern in Berlin wegen des Vorwurfs der Geiselnahme in der Botschaft Iraks vor Gericht stehen, ist die Antwort klar: „Der Terrorist von gestern ist der Freiheitskämpfer von heute und der Präsident von morgen.“ Der Prozess drohe „zum grotesken Szenario“ zu verkommen, wenn er nicht eingestellt werde, so die Anwälte: Wenn die Weltöffentlichkeit hinnehme, dass die USA und Großbritannien ohne UN-Mandat gegen den Irak zu Felde zögen, könne die Besetzung einer diplomatischen Vertretung Saddam Husseins wohl auch nicht strafbar sein.

Fünf der Angeklagten waren am 20. August 2002 mit Äxten und Gaspistolen bewaffnet in die Botschaft in Berlin-Zehlendorf eingedrungen. Bei der Aktion, die ein Sondereinsatzkommando nach fünf Stunden beendet hatte, waren der Botschaftschef und sein Vize mit Klebeband gefesselt und zwei Besucher mit Reizgas besprüht worden. Aus dem Fenster hatten die Besetzer zwei irakische Fahnen mit der Aufschrift „Tod Saddam!“ gehängt. Der sechste Angeklagte, ein seit 25 Jahren in Deutschland lebender Geschäftsmann, der in Hamburg Orientmoden vertreibt, soll bei der Besetzung die Fäden gezogen haben. Bei der polizeilichen Vernehmung soll sich der 52-jährige Mithal A. als Pressesprecher einer bis dato unbekannten „demokratischen Irakischen Opposition Deutschland“ ausgegeben haben. Der oppositionelle Irakische Nationakongress (INC) hatte die Aktion verurteilt und sich von den Besetzern distanziert.

Der Prozess unter verschärften Sicherheitsbedingungen ist bis Mitte Mai terminiert. Weder Richter noch Anklage sind geneigt, das Verfahren einzustellen. „Die Strafprozessordnung sieht ein Weltrecht als Verfahrenshindernis nicht vor“, sagte der Staatsanwalt. Zudem gehe es bei den Tatvorwürfen um eine Verletzung der „persönlichen Integrität“ der Botschaftsangehörigen. Als erster Angeklagter meldete sich gestern Mithal A. zu Wort. Er habe angeordnet, dass die Besetzung „friedlich verlaufen“ solle, lies er seine Anwältin verlesen. Die Aktion sei eine „Notwehrreaktion“ gewesen, weil die deutschen Behörden nicht zur Kenntnis hatten nehmen wollen, dass es sich bei der Botschaft um eine Zweigstelle des irakischen Geheimdienstes gehandelt habe. Nach Angaben der Verteidigung sind vier der fünf Botschaftsangehörigen inzwischen von der Bundesregierung als unerwünscht ausgewiesen worden. PLUTONIA PLARRE