Der Geist macht lebendig

Immer noch der beste Rapper des britischen Königreichs: Roots Manuva gastierte in der Maria am Ostbahnhof

Rodney Smith ist Brite durch und durch. Seinem Akzent hört man das sofort an, selbst der Sprechrhythmus fügt sich den Gegebenheiten der Lautbildung. Vor allem aber versteht sich Smith auf Understatement. Oder wie soll man erklären, dass der berühmteste Rapper der Insel, bekannt als Roots Manuva, auf seinem aktuellen Album „Slime & Reason“ gleich zu Beginn bemängelt: „A lot of people don’t know bout Smith?“

Ganz so schlimm kann es zum Glück nicht sein, in die Maria am Ostbahnhof hatten am Donnerstag genügend Leute gefunden, um dem zerstreut wirkenden Mann am Mikrofon einen herzlichen Empfang zu bereiten.

Roots Manuva ist in mehrfacher Hinsicht eine besondere Erscheinung. Als einer der ersten Rapper mischte er zu Beginn des Jahrzehnts Hiphop mit Dub und Electro und gilt so als Geburtshelfer des Grime. Ungewöhnlich sind auch seine Texte, die nichts vom genretypischen Ego-Boosting haben, sondern von sehr persönlichen Ängsten und Nöten erzählen. Allerdings weiß man bei Smith nie genau, wann er etwas ernst meint und wann er auf seine ganz eigene Weise zum Aufschneider wird.

Auf seinem vorletzten Album hatte er den Eindruck erweckt, in tiefsten Depressionen zu stecken und kurz vor dem Wahnsinn zu stehen – in einem Song kündigte er sogar an, dies könnte seine letzte LP sein. Man musste sich dann aber etwas wundern, als er im selben Atemzug vollmundig behauptete, „ein paar Bäume“ geraucht zu haben. Reinstes Kiffergarn, möchte man meinen.

Auf der Bühne der Maria wirkt Smith zunächst leicht desorientiert. Es sei schon ein bisschen her, dass er zuletzt in Berlin war, gesteht er seiner „Berlin posse“. Zum nächsten Stück leitet er über mit: „Fuck, what’s next?“ Spätestens in diesem Moment scheint klar, dass die Nachlässigkeit inszeniert und nichts als Koketterie mit den eigenen Unzulänglichkeiten ist, was bei Roots Manuva herrlich funktioniert. Je länger er spielt, desto präsenter wirkt er, auch das Zusammenspiel mit Co-Rapper Ricky Rankin und den beiden DJs wird von Stück zu Stück souveräner. Auf seinem aktuellen vierten Album „Slime & Reason“ besinnt sich Roots Manuva auf seine namensgebenden Wurzeln. Smiths Eltern stammen aus Jamaika, und bevor er Hiphop hörte, war es klassischer Reggae, der ihn prägte. Nach Roots-Reggae klingt seine Musik jedoch nur ganz vereinzelt, die Electro- und Hiphop-Elemente sind weiterhin bestimmend. Die einzige „echte“ Roots-Nummer ist eine eigens für diesen Abend vorbereitete Zugabe: In „Berlin City“ mit traditionellem Riddim lobt Smith die Clubs der Stadt und die niedrigen Mieten.

Vielleicht zählen die Reggae-inspirierten Stücke nicht zu Roots Manuvas innovativsten Leistungen. Mitreißender geraten an diesem Abend die Klassiker. Bei dem Hit „Witness (1 Hope)“ aus dem Jahr 2001 springt die Menge zu den wüsten Acid-Synthesizerlinien wie bei einem Punkkonzert.

Doch die letzte Zugabe korrigiert erfreulicherweise den Eindruck, Roots Manuvas frühere Hits hätten die meiste Zugkraft. „Let the Spirit“ ist nicht nur der schönste Titel auf „Slime & Reason“, dieses Kleinod im Electro-R&B-Gewand entfaltet überdies eine magische Wirkung, die keinen Zweifel an der Ernsthaftigkeit der Botschaft lässt. Smith, dessen Vater auf Jamaika als Laienprediger arbeitete, scheint keine Probleme mit der familiären Prägung zu haben. Wo andere Leute mit ähnlichem Hintergrund Bücher wie „Der Antichrist“ schreiben müssen, empfiehlt Roots Manuva seinem Publikum: „Let the spirit move you.“ Klappt super.

TIM CASPAR BOEHME