Tausche Buch gegen Strumpf

Traumspiel über die Leidenschaft zu nicht mehr lieferbaren Werken: Marion Poppenborg macht am Bremerhavener Theater im Fischereihafen aus Helene Hanffs autobiographischem Briefwechselroman „84 Charing Cross Road“ einen überraschend frischen Theaterabend

Wesen aus einer vergangenen Welt zum Leben erweckt

Ihr Name: Helene Hanff, Amerikanerin. 1917 geboren, schlägt sie sich in den 50er Jahren in New York mit schlecht bezahlten Drehbucharbeiten durchs Leben. Sein Name: Frank Doel, Engländer. 1908 geboren, arbeitet er Zeit seines Lebens im altehrwürdigen Londoner Antiquariat Marks&Co. Die Schriftstellerin und den Buchhändler verbindet ein jahrzehntelanger Briefwechsel, ein amerikanisch-europäischer Dialog, in dem zwei passionierte Bücherfreunde allmählich zu wirklichen Freunden werden, ohne sich dabei jemals zu sehen.

Nach Frank Doels Tod im Dezember 1968 veröffentlichte Helene Hanff die gemeinsamen Briefe unter dem Namen 84 Charing Cross Road, der Adresse des Antiquariats. Der Briefwechsel-Roman begründet ihren Ruhm als Autorin, erst im letzten Jahr erschien eine deutsche Übersetzung, und jetzt hat die Regisseurin Marion Poppenborg am Bremerhavener Theater im Fischereihafen (TiF) daraus ein Stück gemacht: 84 Charing Cross Road ist ein faszinierendes Traumspiel, das die Briefpartner mit ihrer Leidenschaft für schöne, „nicht mehr lieferbare“ Bücher wie zwei Wesen aus einer längst vergangenen Welt ins Leben holt.

Der Briefwechsel beginnt 1949 mit einer Anfrage aus New York: „Ich bin eine arme Schriftstellerin mit einer Vorliebe für antiquarische Bücher.“ Helene bittet um die lateinische Bibel oder um „Dichter, die Liebe machen können, ohne zu sabbern“. Frank kann fast alles besorgen, und zwar immer zu möglichst geringen Preisen, wofür sich Helene – sobald sie zu Geld kommt – mit teuren Lebensmitteln oder exklusiven Klamotten für Franks Frau Nora bedankt. Sie revanchiert sich in knappen Nachkriegszeiten mit amerikanischem Schinken oder modischen Nylonstrümpfen.

Marion Poppenborg macht aus dieser Korrespondenz einen überraschend frischen, ebenso anrührenden wie komischen Theaterabend. Sie steht selbst als Helene auf der Bühne, eine Frau mit ruppigem Charme und galligem Humor, während Martin Kemner ihren Briefpartner Frank als eleganten Briten gibt, der mit der leisen Selbstironie des Gentlemans nur ganz langsam auftaut. Beide spielen in getrennten Räumen, voneinander abgetrennt durch Papierbahnen, die vorn als Jalousien hochgezogen werden können und seitlich aufgerissen sind. Darin stapelweise ungeordnete Bücherhaufen bei Helene und eine gefährlich geneigte Büchersäule bei Marks&Co.

Die verspielt schöne Bühne von Herbert Neubecker erinnert an ein Bild von René Magritte. Darin Helene und Frank, die lesen, schreiben, sprechen, sich ansprechen, sich ins Wort fallen, aufeinander einreden – und fast immer geht es um die Liebe zu den seltenen Büchern, die, in Leder gebunden, eine ganz eigene Lebendigkeit gewinnen. Wenn sich zusätzlich um die beiden Räume herum ein mittelgroßes Papierschiff auf Eisenbahngleisen von einem Kontinent zum anderen bewegt, um Bücher gegen Strümpfe zu tauschen, dann erreicht dieses märchenhaft leise Spiel seinen Höhepunkt.

Hans Happel

nächste Vorstellungen: 7. + 8.2., 20 Uhr, Theater im Fischereihafen, Am Schaufenster 6, Bremerhaven