piwik no script img

Fackeln im Sturm

Krieg als Katastrophe, Liebe als Konstrukt: Anthony Minghellas „Unterwegs nach Cold Mountain“ eröffnet außer Konkurrenz den Berlinale-Wettbewerb

VON SVEN VON REDEN

Krieg ist doof. Man macht sich nur die Klamotten schmutzig. Männer kommen nicht mehr zum Rasieren und verfusseln unschön; Frauen müssen plötzlich harte Männerarbeit machen, sodass die preziösen Finger nicht mehr das Piano bedienen können. Und dann die ganzen Toten, das Blut, die Seuchen.

Die Liebe dagegen ist eine tolle Sache. Sie macht Menschen glücklich und schön und spendet eine Ahnung von Unsterblichkeit. Krieg und Liebe sind ein ungleiches Paar, deshalb geben sie so einen guten Stoff für Bücher und Filme ab. Margaret Mitchells „Vom Winde verweht“ etwa war in den Dreißigerjahren ein Bestseller, die Verfilmung ein Blockbuster – zu einer Zeit, als mit dem Wort noch nicht besonders erfolgreiche Filme, sondern besonders fiese Luftbomben gemeint waren, die ganze Häuserblöcke pulverisieren konnten.

„Unterwegs nach Cold Mountain“ ist wie „Vom Winde verweht“ die Verfilmung eines viel verkauften Buchs, das in epischer Breite eine Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Amerikanischen Bürgerkriegs schildert. Doch eigentlich erinnert der Plot von Charles Fraziers Buchvorlage eher an eine andere Geschichte: Homers „Odyssee“.

Odysseus heißt jetzt Inman und ist Südstaatensoldat. Als die Sache der Konföderierten aussichtslos geworden ist, wandert er von der Front 500 Meilen zurück heim nach Cold Mountain zu seiner großen Liebe Ada. Wie Homers Held lernt er auf der Reise seltsame Gestalten kennen und muss gefährliche Prüfungen bestehen. Derweil wird die zarte, musisch begabte Ada wie Penelope auf Ithaka von Freiern bedrängt und muss ohne männliche Hilfe den Haushalt führen.

Vergleiche mit diesen Klassikern dürften den Machern von „Cold Mountain“ gefallen. Schließlich steht Anthony Minghellas neuestes Werk in einer Reihe mit aufpolierten Literaturadaptionen wie „Chocolat“, „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ und „Der englische Patient“, die Miramax seit Jahren zur Weihnachtszeit in die US-Kinos bringt – zum richtigen Zeitpunkt also, um sich für die Oscars zu empfehlen.

Filmen, die mit derartigem Qualitätsanspruch auftreten, reizen Kritiker natürlich, sie auch an diesem zu messen, und so wurde „Cold Mountain“ in den USA zum Teil mit heftigem Spott belegt: Minghella sei der Regisseur der „Romanzen der lebenden Toten“, sein Film ersticke an selbst auferlegter Bedeutsamkeit. Die Kritik ist berechtigt. „Cold Mountain“ weiß weder mit dem Sezessionskrieg noch mit seiner Liebesgeschichte viel anzufangen. Eine einzige fast wortlose Szene, in der Inman einer Gruppe entflohener Sklaven begegnet, muss reichen, die Cause célèbre des Sezessionskriegs abzuhaken. Kriege sind komplex, werfen politische Fragen auf nach Verantwortlichkeiten, Recht und Unrecht und danach, wie sich kollektive zu individueller Schuld verhält. Doch für Minghella ist der Sezessionskrieg nur retardierendes Element in einer Liebesgeschichte, wie es auch ein Erdbeben sein könnte. Die „humanitäre Katastrophe“ bricht einfach über die Welt herein. Dass die Sklaverei, die der Bürgerkrieg beendete, eine ebensolche Katastrophe war, darf nicht Thema sein, weil damit zu komplexe Fragen aufgeworfen würden.

Doch auch die Liebe trägt den Film nicht, sie bleibt Konstrukt, zumal das Paar die meiste Zeit des Films getrennt ist. Ein einziger Kuss soll die beiden so sehr aneinander gekettet haben, dass sie füreinander in den Tod gehen würden. Es wirkt eher, als seien sie in der traumatischen Kriegszeit füreinander lediglich Projektionsflächen. Wer würde auf diese virtuelle Beziehung setzen, wenn der Krieg einmal vorbei ist?

Seltsamerweise ist „Cold Mountain“ dann stark, wenn es nicht direkt um Krieg und Liebe geht. Inmans Odyssee, die nicht nur die Front, sondern vor allem die aus den Fugen geratene Welt hinter der Kampfzone zeigt, erinnert in den besten Momenten an die Flussfahrt aus „Apocalypse Now“. Jude Law wirkt als vollbärtiger, wortkarger Kriegsheld fehlbesetzt und Nicole Kidman bleibt kühl, aber dafür beeindruckt der Film mit einer Reihe von Nebendarstellern wie Philip Seymour Hoffman, Brendan Gleeson und Donald Sutherland, die ihren Rollen eine Erdung geben, die man sich auch für die Hauptdarsteller wünschen würde. Höhepunkt ist allerdings Renée Zellweger, die hier eine ähnliche Funktion erfüllt wie Johnny Depp in „Fluch der Karibik“: Sie überzieht ihre Rolle als Adas resolute Haushaltshilfe Ruby zwar gnadenlos, aber man freut sich über jede Szene, die sie dem anämischen Liebespaar stiehlt.

„Unterwegs nach Cold Mountain“.Regie: Anthony Minghella. Mit Jude Law, Nicole Kidman, Renée Zellweger u. a., USA 2003, 150 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen