Dissidenten in Haft

Die kubanische Regierung wirft Dissidenten Kungelei mit den USAvor und lässt bei landesweiten Razzien über 70 Personen festnehmen

BERLIN taz ■ Elizardo Sánchez steht unter Beobachtung. An der nächsten Hausecke stehen Polizisten, die auf den 59-jährigen prominenten Vertreter der „Kubanischen Kommission für Menschenrechte und nationale Versöhnung“ angesetzt sind. Keinen Schritt können Kubas Dissidenten derzeit ohne Beobachtung durch Polizei und Geheimdienst machen, falls sie nicht ohnehin schon inhaftiert sind. Mindestens 75 Dissidenten haben die Behörden wegen „konspirativer Aktivitäten“ im Laufe der letzten Woche festgenommen. Die Identität weiterer fünf Inhaftierter versucht die Kommission noch zu klären, so der Miami Herald.

Für Sánchez ist die Welle der landesweiten Festnahmen der intensivste repressive Akt der vergangenen Jahre. Der kam jedoch nicht überraschend. Seit Mitte März hatten Kubas Medien den Leiter der US-Interessensvertretung in Havanna, James Cason, ins Visier genommen. Und Festnahmen von Dissidenten waren vor Beginn der Razzien angekündigt worden.

Cason, der seit einem halben Jahr in Havanna ist, hatte sich, anders als seine Vorgänger, in der Öffentlichkeit mit bekannten Dissidenten gezeigt und dabei wiederholt Kubas Regierung scharf kritisiert. Ein wenig diplomatisches Gebaren und ein Affront in den Augen der kubanischen Verantwortlichen. Die warfen dem US-Diplomaten in einer Erklärung Mitte März vor, sich über kubanische Gesetze hinwegzusetzen und die Interessensvertretung zum Hauptquartier der Opposition zu machen. Deren Räume hatte Cason wiederholt für Treffen von unabhängigen Journalisten und Dissidenten zur Verfügung gestellt. Gegen die richteten sich die landesweiten Razzien.

Unter den mindestens 75 Inhaftierten sind rund 20 Journalisten von unabhängigen Nachrichtenagenturen, unter ihnen Raúl Rivero, Leiter der Agentur Cuba Press. Ihm droht genauso wie den Dissidenten, von denen viele zum Proyecto Varela gehören, das sich per Referendum für politische und ökonomische Reformen einsetzt, eine Anklage wegen „konspirativer Aktivitäten“. Darauf stehen seit einer Gesetzesverschärfung im Jahr 1999 bis zu 20 Jahren Haft. Oswaldo Payá, ein bekannter und bisher nicht inhaftierter Vertreter des Proyecto Varela, hat am Dienstag zu einer internationalen Kampagne für die Freilassung der Dissidenten aufgerufen. Die ist bereits angelaufen. Doch bisher hat die Regierung auf entsprechende Appelle von Human Rights Watch, amnesty international und der Europäischen Union nicht reagiert. KNUT HENKEL