das wort zum wochenende
: Ihm den Kaffee, mir die Schokolade

Tief eingetaucht ist Kristo Šagor in Bremens Mixtur aus Nordischem und Klein-Berlin. Jeden Samstag holt der bundesweit gefeierte Dramatiker (Jahrgang 1976), derzeit Hausautor am Bremer Theater, Perlen aus dem hanseatischen Schlick.

Unlängst saß ich mit meinem Freund K. in der DB-Lounge des Bremer Hauptbahnhofes. Neuerdings bin ich ja Bahn-Comfort-Kunde. Das bedeutet, die Deutsche Bahn sendet mir regelmäßig aufwendig produziertes und vollkommen inhaltsleeres Informationsmaterial zu und bietet mir erwähnenswert vernünftige Vergünstigungen und Erleichterungen an, um mich emotional an den Verein zu binden.

Eine dieser Vergünstigungen ist der Besuch eben dieser DB-Lounge, in der kostenlose Getränke und Tageszeitungen auf mich warten. K. und ich bemühen uns an jenem Samstagmorgen, meinem ersten Besuch in einer DB-Lounge, um eine möglichst ungezwungene Körperhaltung. Keine unanstrengende Unternehmung, denn immer überkommt mich Kleinbürger an solchen Orten, wie etwa der üppigen Lobby eines Hotels, das Gefühl der Illegitimität: Irgendwann wird schon jemandem auffallen, daß ich hier nichts verloren habe, und dann werde ich unter dem pikierten Kopfschütteln der zahlkräftigeren Bevölkerung des Ortes verwiesen.

K. und ich haben auf einem Sofa Platz genommen, wie alle anderen Sitzgelegenheiten der Lounge mit einem roten Leder überzogen, das bei aller Pracht elegant wirkt, aber wohl vor allem den Vorteil hat, leicht abwaschbar zu sein. Das Sofa steht in der Ecke des Raumes, diagonal gegenüber der Eingangstür. Ein alter Reflex aus der Tierwelt: So kann der Feind nur von vorne kommen. Zu meiner Rechten gibt die Fensterfront den Blick auf den Bahnhofsvorplatz frei.

Ich begehe den Anfängerfehler, zu gierig über die kostenlosen Angebote herzufalle, und bringe K. einen Orangen- und mir selbst einen Apfelsaft, ihm einen Kaffee, mir eine heiße Schokolade, ihm eine FR und mir eine SZ. Keine taz weit und breit. Nach wenigen Minuten, die Ankunft unseres Zuges liegt noch eine knappe Viertelstunde in der Zukunft, muss ich pinkeln und erfrage bei der Frau, die am Eingang gutmütig meine Bahncard kontrollierte, den Weg zur Toilette. Sie drückt mir einen Schlüssel in die Hand und deutet auf eine Tür schräg gegenüber.

Auf der Tür steht „Durchgang verboten“, und zum Gefühl der Illegitimität gesellt sich selbsterregte Renitenz: Ich wandle an verbotenen Orten und habe sogar den richtigen Schlüssel an einer bunten Schnur. Zurück auf dem roten Sofa fällt mein Blick auf blaubehemdete Schlachtenbummler, die ihrem VFL Bochum zum Bremer Auswärtsspiel gefolgt sind. Sie stehen, von den Vorsprüngen des Bahnhofsgebäudes dürftig vor den Blicken der Passanten geschützt, mit dem Rücken zu meinem Fenster und urinieren, die Bierdose in der anderen Hand, gegen das Gebäude. Den jetzt möglichen Diskurs über Männlichkeitsbilder erspare ich Ihnen.

Kristo Šagor