Späher bei Altona 93

Fußballer aus unteren deutschen Ligen verhelfen der afghanischen Nationalmannschaft zu neuer Stärke – und vielleicht bald zum ersten Sieg

„Auf einmal fühlst dudich wie ein Star, wie ein kleiner David Beckham“, sagtNajib Naderi aus Hamburg

von MATTHIAS ANBUHL

Najib Naderi ist völlig aus dem Häuschen. „Das war der größte Moment in meinem Leben. Ich durfte vor 65.000 Zuschauern für mein Land spielen.“ Mit vielem hat der junge Fußballer gerechnet: Mit einer Berufung in die Juniorenauswahl Hamburgs. Vielleicht sogar mit einem Engagement bei einem Zweitligisten. Aber dass er mit 19 Jahren schon Nationalspieler ist, mag er noch immer nicht glauben. „Ich habe das Gefühl, in einem Traum zu leben.“

Gerade einmal ein halbes Jahr spielt Najib Naderi in der Oberliga Hamburg/Schleswig-Holstein für den Altonaer FC 93, nun ist er in die Nationalelf Afghanistans berufen worden. Im Januar streifte er sich erstmals das Trikot seines Heimatlandes über; beim Gold-Cup in Bangladesch. Den Karrieresprung von der Oberliga in die Nationalelf schaffte Naderi für ein Land, dessen Fußball seit mehr als zwei Jahrzehnten brach liegt. Mit dem Einmarsch der Sowjets 1979 löste sich Afghanistans nationale Liga auf. Die Nationalmannschaft floh ein Jahr später gemeinsam nach Deutschland. Unter dem Taliban-Regime verschärfte sich die Lage. Fußball galt als nicht islamisch, war verboten. In Kabul, Kandahar und anderen großen Städten nutzten die Taliban die Stadien für öffentliche Hinrichtungen.

„Viele unserer besten Spieler haben seither mit dem Fußball aufgehört“, sagt Abdul Alim Kohistani, Präsident des afghanischen Fußballverbandes. Mit dem Ende der Taliban erwachte das Land aus einem Albtraum. Die ersten Fußballklubs gründeten sich. „Fußball ist der populärste Sport in meinem Land. Die Menschen dort sind verrückt nach diesem Spiel“, sagt Kohistani. Rasch gab es in den großen Städten Kabul, Herat, Jalalabad und Masar-i Scharif die ersten Freundschaftsspiele. Auch zwei nationale Ligen gründeten sich, eine dritte ist in Vorbereitung. Künftig möchte sich Kohistani vor allem der Nachwuchsarbeit widmen. „Wenn die Jugendlichen nicht mehr zu Drogen und Waffen greifen, sondern Fußball spielen, dann ist für unser Land viel gewonnen.“

Doch nicht nur um die Nachwuchsfußballer kümmert sich Kohistani, auch eine Nationalelf rief der Fußballverband wieder ins Leben. Bei ihrem ersten Spiel gegen ein Team der Internationalen Schutztruppen Isaf kam es zu Tumulten. 60.000 Fans drängten in das Kabuler Olympiastadion, das nur 30.000 Zuschauern Platz bot. Afghanistan verlor gegen die Soldaten mit 1:3. Als Präsident Hamid Karsai seinen obersten Fußballfunktionär fragte, wie es zu dieser Niederlage kommen konnte, antwortete Kohistani: „Unseren Spielern fehlt es an allem. Sie können nicht einmal genügend Milch trinken, um so stark zu sein, wie diese Fremden.“

Den Traum von einer konkurrenzfähigen Nationalelf gab Kohistani trotzdem nicht auf. Dank einer Spende des Fußball-Weltverbandes Fifa reiste die afghanische Nationalelf im September vergangenen Jahres zu ihrem ersten offiziellen Turnier, den Asien-Spielen, nach Busan in Südkorea. „Nach einer langen, finsteren Zeit kehrte der afghanische Fußball auf die internationale Bühne zurück. Das war ein großes Ereignis für uns.“ Die Resultate waren dabei ebenso zweitrangig wie schlecht: 0:10 gegen den Iran, 0:11 gegen Katar, 0:11 gegen den Libanon. „Wir mussten etwas unternehmen, damit wir international mithalten konnten“, erklärt Kohistani.

Der Verband gründete eine Kommission. Sie sollte Nationaltrainer Said Ali Asghar helfen, zumindest eine halbwegs konkurrenzfähige Mannschaft aufzubauen. Hilfe kam aus Deutschland. Dort leben immer noch jene ehemaligen Nationalspieler, die vor 23 Jahren mit ihrer Mannschaft ins Ausland flohen. Die Exilafghanen ließen sich bereitwillig als Talentspäher engagieren. In den deutschen Amateurligen fanden sie schließlich fünf junge Spieler für Afghanistans Nationalelf. Aus Hamburg kamen Najib Naderi und Obaidulla Karimi (beide Altonaer FC), David Yakubi (SV Lurup Hamburg) und Omar Nazar (VfL Lohbrügge). Nasir Safi schnürte für den SV Darmstadt 98 in der Regionalliga Süd die Stiefel.

Die fünf jungen Amateurfußballer waren fortan die Hoffnungsträger Afghanistans. Sie sollten das Team schon beim Gold-Cup in Bangladesch verstärken. „Wir haben die Jungs kurzerhand eingeflogen“, sagt Kohistani. Das Flugticket mussten die Spieler zunächst selbst zahlen, erst später erstattete ein Sponsor die Kosten.

Der Empfang in Bangladesch war überwältigend. Dutzende Journalisten erwarteten die Deutschafghanen am Flughafen von Dhaka. Junge Frauen hängten den Spielern Blumenkränze um den Hals. „Auf einmal fühlst du dich wie ein Star, wie ein kleiner David Beckham“, sagt Naderi. Afghanistan war Außenseiter, die Vorbereitung chaotisch. Während die Spieler aus Deutschland schon zwei Tage vor Turnierbeginn in Dhaka waren, reisten die Afghanen erst am Vorabend der ersten Partie gegen Sri Lanka an. Am Morgen des Spiels traf sich die Mannschaft zum ersten gemeinsamen Training. Coach Said Ali Asghar formte aus zwanzig wildfremden Spielern eine Elf. „Wir waren noch kein echtes Team und hatten deshalb auch keine Chance“, sagt Naderi. Das afghanische Team schlug sich dennoch wacker. 0:1 gegen Sri Lanka, 0:4 gegen Indien, 0:1 gegen Pakistan. „Das letzte Spiel hätten wir sogar gewinnen können“, meint Naderi. So wartet das Team Afghanistan weiter auf sein erstes offizielles Länderspieltor. In der Fifa-Weltrangliste belegt das Land den letzten Platz – Rang 204, noch hinter den Kickern von der Karibikinsel Montserrat. Najib Naderi ist trotzdem optimistisch: „Es ist nur eine Frage der Zeit, bis wir unser erstes Spiel gewinnen.“

Die Exilafghanen wollen weiter für die Nationalelf spielen. Und auch Abdul Alim Kohistani ist mit dem Auftritt seiner Legionäre zufrieden. „Sie haben sich hervorragend in unser Team eingepasst und können der Mannschaft wirklich weiterhelfen.“ Weitere Länderspiele sind bereits in Planung. Bis dahin hat der Fußballpräsident jedoch andere Sorgen. Es fehlen Fußballplätze, Bälle, Trainer und Schiedsrichter. Die Hilfe der internationalen Fußballverbände hielt sich bisher in Grenzen, sagt Kohistani. Das soll sich jetzt ändern. Die Fifa finanziert den Bau neuer Fußballstadien. Der Deutsche Fußball-Bund schickt mit Holger Obermann einen Entwicklungshelfer für ein halbes Jahr nach Kabul. Er soll dort Spieler, Schiedsrichter und Trainer schulen.

Najib Naderi wird jedoch noch ein wenig warten müssen, bis er wieder die internationale Fußballbühne betritt. Ein Termin für das nächste Länderspiel steht nicht fest. So lange spielt Naderi wieder in der Oberliga Hamburg/Schleswig-Holstein – für den Altonaer FC 93 in der Adolf-Jäger-Kampfbahn. Blumenkränze wird ihm dort niemand um den Hals hängen.